Als Naughty Dogs „The Last of Us“ vor nun schon sieben Jahren auf den Markt kam, veränderte es in den folgenden Jahren die gesamte Industrie, und setzte vor allem im Bereich der westlichen AAA-Spiele einen neuen Qualitätsstandard. Das post-apokalyptische Videospiel wurde zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten der Generation, und Charaktere wie Joel und Ellie erreichten zusammen mit dem Spiel einen wahrhaften Kultstatus. Es war also von Anfang an klar, dass eine Fortsetzung die Gemüter spalten würde, da die unglaublich hohe Prestige des Titels gleichzeitig auch unerfüllbar hohe Erwartungen voraussetzte. Und obwohl der Druck der Fans Naughty Dog tagtäglich praktisch erdrückte, produzierten sie mit „The Last of Us: Part II“ einen Nachfolger, der seinem Vorgänger die Stirn bieten kann, und diesen in allen Bereichen übertrifft.
Dass „The Last of Us: Part II“ ein technischer Meilenstein ist, ist wohl nicht abzustreiten. Neben der grandiosen Tongestaltung der Kreaturen im post-apokalyptischen Seattle sticht besonders die Welt ins Auge. Obwohl die PlayStation 4 in ihren letzten Jahren ist, holt Naughty Dog alles aus der sieben Jahre alten Konsole raus, womit auch gerne während Ellies Rachefeldzug angegeben wird. So lässt Naughty Dog die Protagonistin in den verschiedensten Orte, mit unterschiedlichsten Wetterbedingungen, ihre Gegner ermorden. Im Gegensatz zu „The Last of Us“ ist jedes der Kapitel durch die fortschrittlich visuelle und auditive Gestaltung einprägsam, und macht jedes der Kapitel einzigartig.
Der wohl kontroverseste Teil des Spiels ist die Geschichte selbst. Fans haben sich nach langer Wartezeit ein weiteres Abenteuer mit den Favoriten Joel und Ellie gewünscht. Im Nachfolger selbst bleibt dieser Wunsch aber genau das, ein Wunsch. Anstatt die sichere Route einzuschlagen, und den Fans das zu geben, was sie erwarten, hat Neil Druckmann jegliche Erwartung völlig auf den Kopf gestellt. Wie das ganze Internet bereits weiß, stirbt Joel, der wohl beliebteste Charakter des „The Last of Us„-Universums, in den ersten Stunden des Spiels. Ein Schock und unvorstellbar harter Schlag für die Fans, der wohl für viele Spieler mehr als nur unerträglich war. Doch genau diese unerwartete Wendung ist der Katalysator für die gesamte Handlung und versetzt die Spieler erfolgreich in Ellie selbst. In dem Moment möchte man nichts lieber, als Abby genauso, wenn sogar nicht noch härter, leiden zu lassen. Man trauert Joel, einem fiktionalen Charakter, nach. Und in der heutigen westlichen Spieleindustrie erreichen nur wenige Titel eine solch intensive Auseinandersetzung mit den Gefühlen des Protagonisten, wie auch mit den eigenen. Die Welt von „The Last Of Us“ ist barbarisch, und Joels Tod ist ein Teil ihrer grausamen Realität.
Auf ihrer Reise durch die Vereinigen Staaten erlebt der Spieler, wie Ellie mit Joels Tod umgeht. Ellie ist jedoch nicht alleine, da sie von Charakteren wie Tommy, Dina und Jesse unterstützt wird. Wie Ellie geht auch Tommy auf die Jagd nach Abby, da er sich sicher ist, Joel hätte dasselbe für sie getan. Zusammen mit Dina ist Jesse einer der neuen Charaktere im „The Last of Us„-Universum. Ein charismatischer, charmanter, aber auch verantwortungsvoller Anführer der Patrouillengruppen Jacksons. Im Verlaufe der Handlung wachsen dem Spieler Jesse und auch Dina ans Herz, weil sie so brillant in die Welt und Handlung eingebaut worden sind, und Ellie, wie auch dem Spieler, Unterstützung schenken. Besonders die Beziehung zwischen Ellie und Dina ist wundervoll und herzergreifend geschrieben, da sie sich echt, realitätsnah und aufrichtig anfühlt. Es scheint so, als würden sie alles für einander tun, was einen erfrischenden und schönen Kontrast zur erbarmungslosen Welt bietet. Es sind zwei brandneue Charaktere, die auf eigenen Beinen stehen, und eigenständig funktionieren. Sie mögen zwar nicht Joel sein, aber das sollen sie auch nicht.
Ein Abschnitt, der besonders heute noch hängen bleibt, ist die Erkundung der Downtown Seattles. Während man den Anblick der prachtvoll zerstörten Welt sacken lässt, und die einzelnen Gebäude mit kniffligen Rätseln erkundet, kann man normalen Gesprächen zwischen Ellie und Dina lauschen. Sie reden über alles Erdenkliche, und sind hier und da ein wenig albern. Sie halten keine endlosen Monologe über Rache, Abby, oder wie schlecht doch die Welt sei, nein, sie unterhalten sich, wie es normale Menschen auch tun würden. Wenige Spiele schaffen es, solch authentische Konversationen überhaupt erst zu inszenieren, geschweige denn in einem solch entferntem Setting. Nebenher erfahren wir in solchen Szenen, aber auch in versteckten Szenen, wie es Ellie wirklich geht. Sie versucht den äußerlichen Schein zu erzeugen, dass sie mit Joels Tod gut umgehe, wovon aber in vielen Szenen das Gegenteil angedeutet wird. Eine der Szenen mit bitterem Nachgeschmack ist wohl die Szene im Musikladen, in der Ellie ihrer Freundin ihr eigenes Gitarren Cover von a-has Take On Me spielt. Hier merkt man in ihrer Umsetzung des Songs, wie zerbrechlich sie eigentlich ist, und manche der Zeilen gerade so, flüsternd, herausbekommt. Im Mittelpunkt von „The Last Of Us: Part II“ steht ganz klar Rache, und die Konsequenzen, die sie mit sich zieht. Jedoch kommt diese Thematik gepaart mit Ellies selbstzerstörerischer Art, zu Trauern, und mit Joels Tod abzuschließen.
Druckmann arbeitet bei „The Last Of Us: Part II“ fast ausschließlich mit Gegensätzen. Ellie und Abby, die zwei Protagonisten, die von Rache erfüllt sind, oder Dina und Mel, weibliche Charaktere, die schwanger sind, und für die Protagonisten im Verlauf der Handlung eine große Rolle spielen. Es ist so offensichtlich, dass es teilweise ein bisschen zu einfach zu erkennen ist. Mit Abbys Portion der Handlung versucht Druckmann aber zu verdeutlichen, dass Rache aus den unterschiedlichsten Orten und von den unterschiedlichsten Personen stammen kann, diese aber im Kern ähnliche Lebensbedingungen aufweisen, und ihre Rache von gleicher Motivation stammt. Nach Joels, Jesses und Tommys vermeintlichem Tod wirkt Abbys Sektion wie ein grotesker Scherz. Wer hat denn bitte danach noch Lust, stundenlang die Perspektive Abbys zu sehen? Abby ist doch ein Charakter, den man hassen soll, wieso also zeigt uns das Spiel ihr alltägliches Leben, ihre Probleme, und ihren Kampf mit den Schuldgefühlen? Die Sektion mag sich an einigen Stellen zwar ziehen, erhebt aber im Endeffekt die gesamte Botschaft des Spiels, und zeigt sogar, dass Abby kein so schlechter Charakter ist. Abby ist gezeichnet von der grausamen Welt, in der sie lebt, jedoch verbirgt sich in ihrem inneren ein ganz normaler Mensch, so wie es Ellie auch ist. Egal wie zäh Abbys Teil der Handlung scheinen mag, im Großen und Ganzen schenken diese rund acht Stunden haufenweise Worldbuilding, und Charaktere wie Lev, der für Abbys Entwicklung von enormster Wichtigkeit ist. Am Ende stehen Lev und Abby dort wie Joel und Ellie es damals taten, während Ellie sich alleine und blutgetränkt nach Rache sehnt.
Viele behaupten, Druckmann hätte mit „The Last Of Us: Part II“ Joels Charakter endgültig zerstört. Jedoch ist das ganze Spiel in gewisser Weise auch eine Hommage an den Charakter, weil ohne ihn die ganze Geschichte des Titels einfach nicht geschehen würde. Natürlich soll sein Tod zeigen, dass jede Tat Konsequenzen mit sich zieht, gleichzeitig aber zeigt sein Tod, wie wichtig er den Leuten, die ihn gekannt haben, war. Tommy zieht ohne zu zögern los, und Ellie geht wenig später, zusammen mit Dina, den gleichen Weg. Genauso aber ist Abbys Vater, der Doktor, den Joel getötet hat, eine wichtige Person für Abby und ihre Freunde. Beide Katalysatoren in der Geschichte sind in ihrer eigenen Weise geliebte und großartige Personen, die auch weiterhin in den Leben der Betroffenen eine Rolle spielen werden. Die Flashbacks, die zwischen die einzelnen Kapitel verstreut werden, zeigen nur, dass die Personen, trotz Tod, weiterhin in den Herzen und Köpfen der Figuren leben werden. Joel wird nicht degradiert, er wird gefeiert. Im letzten Abschnitt des Spiels macht sich Ellie genau deswegen noch einmal auf ihren Rachefeldzug. Sie selbst kann mit ihrer Trauer nicht auskommen, nicht abschließen, und hofft, dass Abbys Tod ihr den Schluss gibt, den sich so stark ersehnt. Gerade als sie sich mit Joel wieder versöhnen wollte, wurde er ihr aus dem Leben gerissen. Als sie doch letztendlich kurz davor ist, Abby zu ermorden, erkennt sie sich und Joel in Abby und Lev wieder, und verhindert, dass die endlose Schleife der Rache in eine neue Runde geht. Ellie ist gebrochen, und Ellie verdient nach alldem kein gutes Ende, dem ist sie sich selbst bewusst. Wo sie anfangs noch ohne Bedenken gemordet hat, realisiert sie mit der Zeit, dass all das vielleicht nichts gebracht hat.
„The Last Of Us“ war zu seiner Zeit ein grandioses Spiel, alterte mit der Zeit aber nicht gerade vorteilhaft. Während das Gameplay des Spiels gut funktioniert, ist es alles andere als perfekt. Es ist relativ stumpf, sieht nicht besonders einzigartig aus und bietet im Anbetracht des Gesamtbildes wenig Tiefe. Und obwohl die Welt auch hier extrem bedacht gestaltet ist, ist sie im Vergleich zu der Welt in „The Last Of Us: Part II“ recht unbelebt, und bietet wenig Zusammenspiel mit dem Gameplay. Persönlich war der Aufbau der Story alles andere als besonders gut, die aneinandergereihten, oft mit großen Zeitabständen, Missionen ließen mich oft verwundert zurück. Deswegen war ich besonders überrascht, als „The Last Of Us: Part II“ all das geändert hat, und es sogar schon fast perfektioniert hat. Das Gameplay ist rasant, aufreibend und actionreich. Sobald es zum Schussaustausch kommt, hört man Ellies Herzschlag, ihr lautes, chaotisches Atmen, und die Schreie der anderen. Andererseits bietet die Welt selbst nun viel mehr Möglichkeiten, Gruppen von Gegnern auszuschalten. Entweder man arbeitet sich durch die Gegner im Stile von John Wick, oder man benutzt durchdacht die vielen Versteckmöglichkeiten, und schaltet sie hintereinander aus. Der wohl schwächste Teil des Vorgängers macht im Nachfolger eine komplette Wendung, und wird zu einem der stärksten Komponenten des Werks.
Im Internet, besonders auf sozialen Medien, musste das Spiel mit vieler und lauter Kritik kämpfen. Zahlreiche Spieler waren von Joels Tod so erschüttert, dass sie dem Spiel keine weitere Chance gegeben haben, und den Großteil nicht einmal selbst erlebt haben. Oder aber die angeblich erzwungene Implementierung von homosexuellen und transsexuellen Charakteren, was aber kompletter Unsinn ist. Ellie selbst ist schon seit sechs Jahren ein homosexueller Charakter, und nicht nur im Zuge von „The Last Of Us: Part II“ einer geworden. Auch Lev wird nahtlos in die Welt und Handlung eingebaut, weswegen man sich fragt, wieso es überhaupt als Kritikpunkt aufgegriffen wird. Für die Handlung ist die Sexualität oder das Geschlecht der Charaktere nicht wichtig, und die eigentliche Handlung selbst leidet kein bisschen darunter. Homosexuelle oder transsexuelle Repräsentation in Medien ist etwas, worauf man leider selten auftrifft. Es sind aber immer noch Gruppen, die mit viel Diskrimination zu kämpfen haben, wie man eben an der Kritik zu „The Last Of Us: Part II“ unschwer erkennt. So wie es aber ist, setzen Medien oft den Standard für das, was die Gesellschaft als „normal“ empfindet. Jeder findet irgendwann Charaktere, in die man sich hineinversetzen kann, weil sie unter gleichen Umständen leben, oder gleiche Merkmale, Einstellungen usw. teilen. Besonders in der Spieleindustrie ist Repräsentation von anderen Gruppen etwas, was erst vor Kurzem wirklich unterstützt und gefördert wird. Miles Morales ist ein anderer Fall von perfekter Repräsentation. Jeder braucht in fiktiven Werken jemanden, in denen man sich selbst wiedererkennt, und die Charaktere in „The Last Of Us: Part II“ sind in diesem Aspekt unglaublich gut umgesetzt.
Die Bezüge zu „The Last Of Us“ sind alles andere als klein. Joels Lüge ist der Kern hinter Ellies zerstörerischer Rache. Im Verlaufe des Spiels zeigen uns die Flashbacks immer mehr und mehr, wie die Geschichte rund um die Lüge in den vergangenen Jahren überhaupt ausgegangen ist. Und kurz vor dem Ende des Spiels erfährt der Spieler, dass Ellie endlich angefangen hat, Joel zu vergeben. Doch weil Joel genau dann aus ihrem Leben gerissen wurde, fällt ihr Rachefeldzug in ein völlig anderes Licht. Sie ist in einem Konflikt mit sich selbst, da sie Joel so lange nicht verzeihen konnte, gleichzeitig aber sich selbst nicht verzeihen kann, dass sie es nicht schon früher getan hat. Die Lüge ist alles andere als „nebensächlich“, da das Gewicht der Lüge auf der Handlung und ihren Charakteren lastet.
„The Last Of Us: Part II“ ist ein grandioses Spiel, sogar ein Meisterwerk, welches den Vorgänger in seinem Schatten erblassen lässt. Jeder einzelne Aspekt des Titels wurde verbessert und an die anderen angepasst, sodass es in einem einzigartigen Zusammenspiel resultiert, welches es so kein zweites Mal gibt. Druckmann hätte mit „The Last Of Us: Part II“ eine äußerst sichere Route einschlagen können, hat aber das genaue Gegenteil gemacht, und gezeigt, dass sich gewagte Schritte, wie es dieser einer ist, durchaus lohnen. Wie sein Vorgänger wird auch „The Last Of Us: Part II“ gravierende Folgen auf die Industrie selbst haben, da es nun einen Beweis dafür gibt, dass sich riskante Entscheidungen auszahlen, eine der größten Serien in der Industrie hat es schließlich vorgemacht. Lieber habe ich einen Nachfolger, der etwas Neues, und erstaunliches versucht, und man sich auch Monate später noch um den Titel streitet, als einen Nachfolger, der perfekte Wertungen abräumt, ohne etwas wirklich Außergewöhnliches versucht zu haben. „The Last Of Us: Part II“ bekommt einzig und allein so viel, und solch unsinnige Kritik, weil es der Nachfolger zu „The Last Of Us“ ist.