Als im Jahre 2010 John Marston noch mit verrosteten Revolvern nach alten Bandenmitgliedern schoss, als Bioware mit Mass Effect 2 und Call of Duty mit Black Ops ihre qualitativen Höhepunkte erreichten, als Fallout New Vegas das 3D-Rollenspielgenre und Super Mario Galaxy 2 das Platforming-Genre revolutionierte, wusste man noch nicht, was das neue Jahrzehnt uns bescheren würde. Die neue Konsolengeneration versteckte sich noch ominös hinter dunklen Rauchfassaden, die grandiosen Meisterwerke, die uns erwarteten, noch verborgen in abstrakten Konzeptzeichnungen und stressigen Brainstormingsessions.
Die 2010er waren die beste Gamingdekade aller Zeiten. Allein Verfallene der süß lockenden Nostalgie würden dies verneinen. Doch wie grandios dieses Jahrzehnt wirklich war, bemerkt man erst, wenn man für einen Moment innehält und zurückblickt. In den raschen Winden der Zeit ist das auch bitter nötig, denn sonst entgeht einem die Realisierung, in was für einer unglaublichen Ära des Gamings wir leben. In den folgenden Zeilen möchte ich persönlich innehalten und über die Spiele sprechen, die mich in diesem Jahrzehnt am meisten geprägt, begeistert, glücklich gemacht und zum Weinen gebracht haben. Dieser Artikel ist, entgegen der Reviews, sehr persönlich und subjektiv. Unter all den Meisterwerken des Spielegenres kann nur Subjektivität bestimmen, welche darunter besonders herausragen.
The Elder Scrolls V: Skyrim
Allein das Skyrim selbst nach 8 Jahren immer noch gespielt und diskutiert wird, zeigt, was für ein Meilenstein Bethesdas Rollenspiel ist. Skyrim definierte für mich den Begriff «Freiheit» und «Immersion» in Videospiel neu. In keinem anderen Spiel verlor ich mich so stark, liess Stunden dahinstreichen, ohne wirklich etwas zu tun, als einfach in der Welt zu versinken. Tiefgreifende und faszinierende Fantasy-Lore, eine mit scheinbar unendlichen Geheimnissen gefüllte Welt, eine wundervoll meditative Präsentation und tolles Spieldesign machen Skyrim zu einem der einzigartigsten Spiele aller Zeiten. Dazu ist der Soundtrack mein persönlicher Lieblingssoundtrack eines Unterhaltungsmediums überhaupt und läuft immer noch bei mir mindestens ein paar Mal in der Woche.
Aber das wirklich Besondere an Skyrim ist nicht, was hier nun erwähnt wurde. Was Skyrim für mich über eine «normale» Spielerfahrung hebt ist, wie sehr es mich inspiriert. Die Musik, die Bilder, der leise Schnee auf dem Hals der Welt, der schleichende Wind über das Tal von Weißlauf, die frierenden Höhlen, die scharfen Klippen der massiven Berge und das stille Echo eines Drachenschreis in der Ferne: sie lassen mich gedanklich wandern, wandern in Zeiten und Orte, die nur in meinem Kopf existieren. Die schöner, verträumter, freier sind als die kalte Realität, in der wir leben. Skyrim wird in meiner Fantasie größer als es ein paar Zeilen Spielecode jemals schaffen könnten. Skyrim mag vielleicht nur ein Videospiel sein, der über einen Bildschirm flimmert, doch in meiner Gedankenwelt ist es mehr als das. Es ist Magie. Die ultimative Form eines Videospiels.
The Witcher 3
Meine Geschichte mit The Witcher 3 ist eine etwas verzwickte. Ein Redemption-Plot, wenn man so will. Das Meisterwerk von CD Project Red wurde nämlich in der Hochzeit meines League of Legends Wahns veröffentlicht. Durch meine damalige ungeduldige und gegenüber von Kunst und Unterhaltung undankbare Art, tat ich Witcher 3 lange ab. Ich zwang mich fast schon durch die 50 Stunden Hauptstory und erklärte das Spiel dann so schnell wie möglich als abgeschlossen. Ich anerkannte dessen unbestreitbare Qualität natürlich, jedoch fand ich selbst einfach nicht hinein, weil mein Kopf voll war von einer anderen Zeitverschlingungsmaschine. Erst Jahre später, nämlich 2017, befreit vom Parasiten genannt League of Legends, wandte ich mich nochmal dem Spiel zu. Und war unglaublich begeistert.
Die perfekte Schreibe von Geschichte und Figuren, die Einsteigerfreundlichkeit für diejenigen, die nicht die vorherigen Teile gespielt oder die Bücher gelesen haben, die Präsentation, die Atmosphäre und die wundervolle Balance zwischen Drama und Spannung mit einer gezielten Erzählung aber auch Entscheidungsfreiheit und Einfluss des Spielers. The Witcher 3 vereint, woran viele AAA-Rollenspiele scheitern: Produktionswert, eine großartige Schreibe, eine kohärente Vision und Atmosphäre und vor allem Liebe für Spiel. The Witcher 3 zeigt, dass Nebenquests nicht belanglose Zeitbeschäftigung für leichten Endorphinschub sein müssen und dass in jeder Nebenfigur, egal wie kurz sein Auftritt in deinem Spieldurchlauf ist, eine ergreifende und einzigartige Geschichte stecken kann. Auch The Witcher 3 inspiriert mich, jedoch nicht wie Skyrim in seiner Größe und Gewaltigkeit. Witcher 3 inspiriert in seiner Intimität, in seiner Liebe zum Gespräch und zum Gefühl. Während Skyrim mit seiner schier unfassbaren Welttiefe mich verschluckt und mir Bilder von unendlichen Küsten und Berglandschaften beschert, ist es das Persönliche, das Innere des Menschen was Witcher ausmacht. Witcher handelt nicht von ausschweifenden Epen, es handelt von dem Zwischen- und Innermenschlichen. Es erzählt von kleinen Liebesgeschichten in abgeschiedenen Dörfern oder von winzigen Familiendramen im riesigen Stadtchaos. Witcher 3 erzählt von der Schönheit des Kleinen, von der Relevanz des Irrelevanten, davon wie deine Geschichte, egal wie klein sie scheinen mag im Uhrwerk des Universums, dennoch es Wert ist gehört zu werden.
NieR: Automata
NieR: Automata erschien in einer Zeit der Giganten. 2017 war wohl in dieser Dekade der Riesen, das beste Jahr für Videospiele. Die Rückkehr von Nintendo, die Hoch-Zeit für Sony und Microsoft. Ein Meisterwerk nach dem anderen. Dementsprechend unscheinbar wirkte ein Sequel eines ohnehin schon nischigen Franchises, das zu Beginn des Jahres erschien. Ich kaufte NieR: Automata hauptsächlich um die Wartezeit zu anderen, eben erwähnten Giganten zu überbrücken. Was ich nicht erwartete war, dass dies nicht nur mein Spiel des Jahres werden würde, sondern ein Spiel, das meine Sicht auf das gesamte Medium umwirft und verändert. Automata hat mir gezeigt, dass Spiel nicht einfach nur Spass sein muss, das Spiel auch eine Verarbeitung von Problemen sein kann, die uns Menschen jeden Tag verfolgt. Dass Spiel auch etwas sein kann, worüber man Wochen, Monate oder Jahre nachdenken kann und für sich selbst Moral und Aussage ziehen kann. Dass Spiel auch etwas sein kann, was nicht alle verstehen müssen. Dass einer über jede noch so kleine Nebengeschichte eine philosophische Erarbeitung schreiben könnte, und ein anderer sie auch als witzige Sidequest abtun kann, und dass beides genauso legitim ist, wie das andere.
Die Größe und Bedeutung von NieR: Automata ist schwer zu greifen. Man kann es als seltsames Roboterspiel abstempeln und zur Seite werfen. Man kann es als witziges Actionspiel mit ein paar leicht emotionalen Momenten wahrnehmen, beenden und dann zur Seite werfen. Automatas wahrer Kern versteckt sich unter Seltsamkeit und ein bisschen Fanservice, unter schicken Effekten und leicht eintönigem Weltdesign.
NieR: Automata erzählt über Menschlichkeit. Über das Wesen des Menschen, über dich und mich. Es erzählt über den (Un)Sinn des Lebens, über die Gefühle in uns, über die (Un)Barmherzigkeit der Welt und die unaufhaltsamen und robotischen Zahnräder des Universums. Wir Menschen sind ein widersprüchliches Völkchen. Wir ignorieren Sachverhalte, die unseren Untergang bedeuten können, aber geben Dingen so immensen Wert, die in der nächsten Sekunde wieder aus unserem Leben verschwinden. NieR: Automata erzählt von dem Paradox Mensch. Und von der Schönheit, die daraus folgt.
The Last of Us
Ich glaube langsam erkennt man eine gewisse Tendenz an Open-World Spielen in meiner Liste. Doch nebst all den Vorteilen, die eine offene Spielewelt bringen kann, eine bleibt Ihr für immer verwehrt: eine pointierte, gezielt gesteuerte Erfahrung einer Geschichte. Und kein Spiel tut dies besser als Naughty Dogs The Last of Us.
Das beste lineare Story-Spiel aller Zeiten findet sich nicht ohne Grund auf so ziemlich sämtlichen Top-Listen für „Beste Spiele aller Zeiten“. Naughty Dog schafft es eine so perfekte Erzählung einer Geschichte zu kreieren, die mithilfe der Instrumente und Möglichkeiten, die das Medium Spiel bietet so genial unterstrichen und betont wird, dass eine Art Erfahrung und Kunstwerk daraus entsteht, was nur Videospiel schaffen kann.
The Last of Us ist hauptsächlich eine Geschichte, worin die Spielelemente nur als Unterstützung dienen. Es geht hier nicht darum ein komplexes Kampf- oder Erkundungssystem zu kreieren, es geht darum diese so simpel zu halten, dass die Story niemals in den Hintergrund rutscht. Es geht darum den Spieler so innig mit den Spielfiguren zu verweben, dass eine Synchronität entsteht. Dass das Glück, die Trauer, die Angst und der Mut eins werden. Und dass tut The Last of Us wie noch nie ein Spiel zuvor oder danach.
In einer Zeit der Einsamkeit, der Verlorenheit, der Kälte, reichte mir The Last of Us die Hand. Es zeigte mir Wärme, Kampf und Mut, es zeigte mir die Schönheit im Chaos. Es zeigte mir, dass die Bedeutung eines Videospiels, einer Geschichte, nicht auf einfältige Gameplaykritik heruntergebrochen werden kann. Dass Videospiele manchmal doch mehr sind. Und dass jeder, der nie so fühlen konnte, einem doch ein bisschen leid tut.
The Legend of Zelda: Breath of the Wild
Zuletzt möchte ich eines der Spiele aufführen, bei dem wohl gemeinhin am meisten Übereinkunft über dessen Qualität herrscht. Natürlich gilt das in meiner Liste auch für The Witcher 3 und The Last of Us, die sich beide in so ziemlich allen «Games of the Decade»-Listen finden lassen, jedoch scheinen bei keinem anderen Spiel so viele einverstanden zu sein wie bei The Legend of Zelda: Breath of the Wild.
In einer Liste, wie dieser hier, die vor Subjektivität nur so trieft, brilliert Breath of the Wild auch darüber hinaus. Wenn es ein Werk in diesem Medium gibt, was objektiv am nächsten an Perfektion herankommt (was das genau bedeutet ist Stoff für ganze Bücher und wissenschaftliche Untersuchungen), ist es Nintendos Comeback-Titel aus dem Jahre 2017. Ein Nintendo, dass über mehrere Jahre im Untergrund lag, niedergeschlagen von der Mittelmäßigkeit der WiiU. Man kann darüber streiten wie viel Einfluss die Brillianz von Breath of the Wild dabei hatte, Nintendo aus dem Abgrund zu hieven, doch es ist unbestreitbar, dass es zumindest für den großen Anfangserfolg eine riesige Rolle spielte.
Mit BotW machte die gesamte Industrie einen Schritt vorwärts. Ein so durch und durch genial designetes Spiel, mit Mechaniken und einer Welt, die so nahtlos und perfekt ineinandergreifen, mit einer so genialen Balance zwischen Spielerführung und -freiheit, Fanservice und Frische, und vor allem Kreativität, zeigte mir die andere Seite des Spektrums Videospiel. Breath of the Wild ist in vielen Belangen das genaue Gegenteil von The Last of Us. Wo The Last of Us eng und pointiert und damit umso intensiver ist, ist BotW offen und frei wie selten zuvor. Wo TLoU das Gameplay der Geschichte unterordnet und sie damit stützt, stellt BotW das Gameplay voran. Diese beiden Spiele ergeben für mich ein Sinnbild für das ungemein große Spektrum von diesem Medium. Ein Meisterwerk auf jeder Seite. Das ist Videospiel für mich.
Im Jahre 2019 stehen wir erneut vor grauen Wolken. Star Wars feiert gerade sein Singleplayer-Spielecomeback mit Jedi Fallen Order, In Death Stranding läuft Sam Porter Bridges durch eine wunderschöne Einöde und vereint Amerika. Nintendo stellt alle anderen mit Erfolg und Qualität in den Schatten. Die neue Konsolengeneration steht vor uns, versteckt hinter ominösen Rauchfassaden, die Meisterwerke der Zukunft noch verbogen in abstrakten Konzeptzeichnungen und stressigen Brainstormingsessions. Gaming ist so gut wie noch nie. Doch jeder soll sich sicher sein: das kommende Jahrzehnt wird noch besser.