Es war damals zu Release von The Division 2, einem Spiel, in dem es darum geht als Spieler Terroristen aus einem postapokalyptischen Washington D.C. zu vertreiben, dass Ubisoft mit einer gewissen Aussage Schlagzeilen und Empörung auslösten. Sie behaupteten nämlich standfest, dass sie «keine politischen Spiele» machen würden und alles reine Fiktion sei. Was aber dabei so kontrovers war, war dass Ubisoft dies bei einem ihrer Spiele behauptete, bei welchem das Motiv «Hol dir dein Land mit ganz viel Waffengewalt zurück» als zentral in die Narrative eingebettet ist. Dieses Leitmotiv von The Division 2 kann natürlich von jedem einzelnen Spieler auf unterschiedlichste Weite interpretiert werden: Hol dir dein Land zurück von fremden Ethnien oder Religionen, die es versuchen zu übernehmen, von korrupten Politikern oder einem verschwörerischen Staat im Staate, der alles und jeden kontrolliert und dem Normalbürger nur eine demokratische Entscheidungsfreiheit vorspielt.
Der Punkt hier soll gar nicht die umstrittene politische Interpretationsweise von The Division 2 sein, sondern dass das Spiel, egal wie sehr Ubisoft dies leugnen möchte, eine besitzt. Man kann nicht nicht kommunizieren und schon gar nicht wenn man die zerstörte Hauptstadt eines Landes mit nationalistisch aufgeladenen Symbolen füllt, die Antagonisten als Terroristen beschreibt und den Spieler dazu animiert, diese mit aller Kraft zu bekämpfen um sich seine Heimat zurückzuholen, in einer Zeit, wo diese Motive ohnehin eine sehr hohe gesellschaftliche Relevanz tragen und hochaktuell sind. Dies funktioniert genauso nicht nur in diesem Kontext, sondern in jedem anderen auch.
Solche Aussagen können sehr gefährlich sein. Sie arbeiten Gedankenströme, die gesellschaftlich destruktiv sein können in die Meinungswelt der Spieler ein, ohne dass es diesen auffällt. Wenn Unterhaltungsprodukte mit solchen Aussagen, ob nun vom Hersteller beabsichtig oder nicht, vom Spieler unbedacht und unreflektiert konsumiert werden, kann dies über kurz oder lang zu einer Normalisierung von populistischen und schädlichen Weltansichten in ihm oder ihr führen, selbst wenn dafür eigentlich im vornherein eine starke Ablehnung geherrscht hat. Man kann die eigene, rationale Meinungsbildung verlieren und erhält fremde Weltbilder manipulativ eingeflößt, welche sich dann durch ständigen Zufluss im Kopf des Konsumenten als «normal» festsetzen und so ohne jegliches Bedenken von ihm begonnen werden ausgelebt zu werden.
Hier soll nun ein weiteres Beispiel aufgegriffen werden, was leider sehr oft in einer paradoxen Begeisterung der Masse versinkt und mittlerweile bereits so normalisiert geworden ist, dass man schlicht nicht mehr nachkommt es herauszustreichen. Kulturell festgesetzter Sexismus ist eines der größten gesellschaftlichen Probleme der ersten Welt und durch jahrtausendelangem Zufluss nur noch schwer als problematisch für viele Menschen erkennbar. Das beste Beispiel in der Spielebranche dafür ist die Akzeptanz, ja des nahezu unvernünftigen Lobes auf das Spiel Detroit: Become Human, was fast schon symbolisch für diesen internalisierten Sexismus zu stehen vermag.
Thematischer Sexismus
An Detroit: Become Human von Entwickler Quantic Dream lässt sich perfekt aufzeigen wie sich Sexismus unentdeckt in die Köpfe der Menschen einschleichen und dort als «normal» festsetzen kann.
Wo liegt denn der Sexismus in Detroit: Become Human? Es gibt doch keine inhärent frauenfeindlichen Figuren und wenn ja erleiden sie, zumindest in einem Story-Strang, einen schmerzhaften Tod? Das Problem ist tatsächlich nicht allein der Vater von Alice, der seine Tochter oder den weiblichen Androiden Kara misshandelt, obwohl hier natürlich der ungebremste Umgang mit expliziter häuslicher Gewalt ohne jegliche Vorwarnung auch stark zu kritisieren ist. Die Gefahr liegt viel tiefer und verborgener, nämlich im Gesamtkontext der Geschichte. Sexismus gibt es nicht nur explizit, nämlich in dem eine Frau direkt diskriminiert wird, es gibt Frauenfeindlichkeit auch, und wahrscheinlich auch in viel größerem Maße, in subtilerer, indirekter und systematischer Form.
Ein erster Hinweis lässt sich herausspüren, wenn man alle Frauenfiguren in Detroit gleichzeitig betrachtet und ihre Rollen versucht zu bestimmen. Schnell lässt sich erkennen, dass ausnahmslos alle weiblichen Figuren in eine der drei Kategorien fallen:
- Sie werden von einem Mann dominiert
- Sie nehmen eine schützende, defensive Mutterrolle ein
- Sie sind Prostituierte
Dies ist alles sehr problematisch, aber genau weil Detroit dies nicht groß thematisiert, hinterfragt oder sogar irgendwie narrativ begründet, fällt die Tatsache, dass hier keine Frau eine dominante, proaktive Rolle einnimmt in den Hintergrund und wir vom Spieler als «normal» akzeptiert. Doch sobald man darüber ein wenig nachdenkt sollten diese ersten Hinweise doch sehr suspekt wirken.
Noch deutlicher wird dies wenn man die drei Protagonisten, Markus, Connor und Kara, untereinander vergleicht. Von den drei Protagonisten sind die zwei Männer in einer proaktiven Rolle, besitzen sogar spielmechanische Analysetools für kritische Situationen und sind regelmäßig in physische Kämpfe verwickelt. Sie agieren allein und besitzen sehr große Handlungsthematiken: Es geht um Revolution, den Sturz oder Erhalt eines Systems (je nach dem wie man spielt), das Anführen einer Gruppe von Androiden auf Seiten von Markus oder das entscheidende Zünglein an der Waage im Kampf um Willensfreiheit und Gerechtigkeit zu sein auf Seiten von Connor. Dahingehen nimmt Kara nur eine sehr reaktive und bodenständige Rolle einer Mutter ein, nachdem sie anfangs von einem Mann noch dominiert wird und ihm unterwürfig ist. Bei ihrem Handlungsstrang geht es nie um große, gesellschaftlich revolutionäre Themen, sondern um die demgegenüber «kleine» Rolle der Zwischenmenschlichkeit ohne jeglichen Einfluss auf die mächtigen Zahnräder der Welt.
Währenddessen wird Kara ebenfalls ständig von Männern dominant umgeben. Zuerst ist es der Vater von Alice, dann der Mensch Zlatko der sie täuscht und zum experimentellen Sklaven machen möchte und gerade in dem Moment, wo sie sich und Alice von allen böswilligen Männerfiguren befreit zu haben scheint, wird ihr Luther als großgewachsener, muskulöser Mann in der Beschützerrolle zur Seite gestellt. Dies wird ebenfalls nochmal mit einer Emotionalität kaschiert (wenn auch nicht möglicherweise nicht absichtlich) damit der Spieler dies ohne kritische Hinterfragung akzeptiert. Eine Pseudoemanzipation wird vollzogen, der leicht eine Illusion von Progressivität zu vermitteln vermag.
Abgesehen von Kara sind dieselben Symptome auch bei den anderen weiblichen Nebencharakteren sichtbar. North, ein weiblicher Android, der schon ohnehin als Sexualpartner designt wurde, charakterisiert sich nur in einer hastig dahinkonstruierten Romanze zum männlichen Protagonisten und Revolutionsführer Markus. Rose Chapman, die eine größere Rolle in einem Abschnitt spielt, findet sich auch in einer defensiven Mutterrolle wieder die dadurch eine sichere Unterkunft für Kara bietet.
Diese Rollenverteilungen ziehen sich durch das gesamte Spiel. Weder eine kritische Hinterfragung findet statt noch eine schlichte Thematisierung, die wenigstens das Problem ein wenig in den Vordergrund rücken würde. In allen Momenten, wo sich eine Abkehr von sexistischen Handlungsentwicklungen abzeichnet, dreht sich Detroit dann doch wieder so, dass es dem vorherigen Pfad folgt. Es herrscht kein direkter Sexismus, keine direkte Billigung von Frauendiskriminierung, aber dafür umso mehr eine Banalisierung und Normalisierung einer unterwürfigen Stellung von Frauen.
Der unreflektierte Umgang mit Symbolen und Metaphern
Diese fehlende Selbstreflektion und Banalisierung von höchst empfindlichen Thematiken wird außerdem außerhalb eines thematischen Sexismus noch in weiteren Bereichen fortgeführt. Autor und Game-Director David Cage bedient sich an kulturell sehr komplexen und weitreichenden Diskursen und Ereignissen, um eine äußerst prätentiöse Tiefe zu erzeugen. Da werden hier mal Ausschnitte aus der «I Have a Dream»-Rede von Martin Luther King genommen und damit ein gleiches Niveau an Bedeutung einer fiktionalen Geschichte mit der echten suggeriert, und auf der anderen Seite eine Sequenz eingebaut, die eindeutig vom KZ Auschwitz-Birkenau inspiriert scheint und einfach nur geschmacklos präsentiert wird. Es fehlt jegliches Niveau an Auseinandersetzung, kritischer Hinterfragung, dezente Umgangsweise oder einfach nur Respekt gegenüber diesen Themen. Natürlich ist es nicht verboten diese Ereignisse metaphorisch oder symbolisch in einer Geschichte einzubauen, um einen gewissen Effekt zu erzielen. Jedoch sollte dies subtiler geschehen und eine tiefgehende Auseinandersetzung sollte dem vorausgehen damit diese Subtilität überhaupt auftreten kann. Weil sonst ist die Verbauung dieser Elemente nichts Weiteres als ein Versuch ist auf die banalste Art und Weise ein Gefühl von Schock und eine Suggestion von Tiefgründigkeit zu erzielen.
Oberflächliche Blendung und wie sie Akzeptanz schürt
Detroit: Become Human ist äußerst cinematisch präsentiert und es gelingt auch sehr in dieser Inszenierung. In den klimaktischen Momenten bauen schnelle Kameraschnitte und dröhnende Trommeln die Spannung auf, in den ruhigen emotionalen Momenten federt eine sanfte Geige diese wieder ab. Diese Qualität der Inszenierung, inklusive des Voice-Actings, sind weitere Faktoren die dazu beitragen können, Akzeptanz für die bearbeiteten Motive und Konzepte der Geschichte zu schüren. Detroit ist ein sehr gutes Beispiel für einen oberflächlichen Blender: Die Inszenierung und Präsentation ist so gut darin Emotionalität auszulösen und tatsächlich bleibende Momente zu erschaffen, dass es stark dazu verleitet, die Problematik hinter den narrativen Hintergründen zu übersehen.
Genau deswegen ist es sehr wichtig vollkommen unbedachte Berieselung, also Konsum von Unterhaltung ohne auch nur geringfügig über dessen Inhalt zu reflektieren, zu vermeiden. Vor allem in heutiger Zeit ist das Thema Berieselung und Unterhaltung als «Background Noise» zu einem sehr großen Problem geworden. Doch wenn man sich diesem vollständig hingibt, setzt man sich auch der Gefahr aus, sich Werte und Weltansichten anzueignen, die man nicht nur eigentlich ablehnt, die aber dazu sogar noch schädlich für alle Mitmenschen sind. Nur durch differenziertes Nachdenken über das was uns da als Spieler/Konsument eigentlich vorgesetzt wird, ist es möglich achtsam zu bleiben, dass niemand mit unseren wahren und persönlichen Ansichten eines Themas herumpfuscht, unabhängig davon ob dies überhaupt vom Autor beabsichtigt, oder nur ein äußerst problematisches Weltbild eines äußerst problematischen Mannes ist.