Seit seiner Ankündigung im Mai 2018 steht Rage 2 eher im schummrigen Licht da. Die eigentlich enthusiastische Enthüllung von Publisher Bethesda löste eher ein skeptisches Augenverengen aus, die folgenden Gameplay-Trailer, wenn auch energisch und kreativ, ließen nicht viel zur wirklichen Qualität des Endproduktes durchblicken. Allein die Kooperation der zwei Studios, aus denen Rage 2 hervorgehen sollte, konnte doch zuweilen die Vorfreude massiv hochheben: Avalanche Studios, Entwickler des ambitionierten, aber zu Unrecht unter dem Radar gebliebenen Mad Max-Spieles aus dem Jahr 2015, sollte mit dem legendären Shooter-Entwickler id Software kooperieren, das 2016 mit DOOM eine ohnehin ikonische Spielereihe wieder zurück an die Spitze der Industrie katapultiert hat. Und aus den Trailern für Rage 2 schien sich langsam auch diese Zusammenarbeit herauszukristallisieren. Nun stellt sich also die Frage: Ist Rage 2 ein gutes Open-World DOOM im Mad Max-Setting geworden?
It’s coarse, rough and irritating, and it gets everywhere
Diese Frage lässt sich zumindest für die Geschichte mit einem klaren Ja beantworten. Die Story in Rage 2 ist genauso belanglos und nebensächlich wie schon in DOOM. Der Unterschied jedoch ist, und damit auch der Grund weshalb die sehr schwache Qualität dieser Geschichte hier sich bemerkbarer macht als noch in id Softwares Spiel von 2016, dass DOOM seine Geschichte niemals erzählerisch in den Vordergrund rückte. Rage 2 benutzt seine Narrative offensichtlich auch nur als Fassade um die Gameplay-Mechaniken zu verankern, drückt sie aber dennoch immer wieder dem Spieler auf. Es gibt schlicht zu viele Zwischensequenzen, Dialogsequenzen und Quests, in denen man mit bestimmten Personen reden muss, als dass die Geschichte wie bei DOOM einfach Nebensache sein könnte. Stattdessen nimmt sie hier eine aktive Funktion ein, was dann die wirklich schlechte Qualität dieser Story dem Spieler klar macht. Es gibt fast keine interessanten Figuren, es gibt keine Personen, die irgendwelche halbwegs ansprechenden Persönlichkeiten besitzen. Stattdessen wirken die Figuren, genauso wie die ganze Geschichte selbst, wie eine seltsam inkonsistente und nicht greifbare Ansammlung an quirligen, bunten, und pseudo-verrückten Eigenschaften, die einfach zufällig in bestimmte Figuren oder Ereignisse der Geschichte zusammengeworfen wurden. Und erneut: DOOM funktioniert auch trotz, oder genau wegen solchen schwach geschriebenen Figuren oder Geschichten (auch wenn nicht so bunt und überenergisch), aber nur, weil es diese genau nicht dem Spieler so massiv aufdrückt und es für ihn nur leise im Hintergrund plätschern lässt. Falls für den Spieler ein Interesse bestehen würde, sich in die Geschichte einzuarbeiten, wozu bei DOOM, genau wie bei Rage 2 eigentlich überhaupt keine Notwendigkeit herrscht, könnte er dies freiwillig tun. Bei Rage 2 schiebt sich aber die Geschichte teils so sehr in den Vordergrund, dass diese erzählerischen Mängel wirklich stören.
Weniger schlimm, aber doch auch vorhanden, ist der narrative Hintergrund in der Welt selbst. Das Spiel präsentiert sich in einer wirklich ästhetisch ansprechenden Welt, mit wunderbar abwechslungsreichen Gebieten und gameplaytechnischen Herausforderungen. Jedoch versucht Rage 2 genau diese Welt wieder unbedingt mit Hintergrundgeschichten irgendwie zu verankern. Dabei will es verschiedene verrückte Fraktionen und Monster einführen, typische postapokalyptische Konventionen, eine Art von Konsumkritik, aber auch schlicht leichtverdauliche Buntheit einbauen. Jedoch wirkt hier alles ein wenig zu chaotisch und zu verwirrend, wodurch der Spieler schnell einfach beginnt diese Dinge zu ignorieren. Weniger wäre hier mehr gewesen, simplere Strukturen der Welt, bezüglich Fraktionen und Thematiken hätten viel besser zum ohnehin leichtfüssigen Gameplay von Rage 2 gepasst.
Mad Max in pink
Im Gameplay merkt man dem Spiel ziemlich schnell die Kooperation der beiden Studios an. Das absolut geniale Schießgefühl von id Software greift sofort und lässt den Spieler nicht so schnell wieder los. Vor allem in Kombination mit den Fähigkeiten, die man im Laufe des Spieles freischaltet und der Spielwelt von Avalanche Studios, dessen simple aber abwechslungsreiche Bauart das Gameplay sehr gut unterstützt (mit Ausnahme eines Punktes, der später beschrieben wird) spielt sich Rage 2 wahrlich wunderbar. Das Far Cry-ähnliche Säubern einer offenen Welt, indem man in feindliche Lager, Höhlen, Stützpunkte eindringt und schlicht alle Feinde umbringt, funktioniert sehr gut und erreicht sogar zeitweise zusammen mit dem brillanten Schießgefühl eine fast süchtig machende Ebene.
Ein großes Problem herrscht jedoch und dabei steht sich Rage 2 in seinem Grundspielprinzip selbst im Weg: die grosse, offene Welt schadet eigentlich der Spielerfahrung. Dies mag vielleicht konträr zu den oben erwähnten Punkten klingen, aber ist dennoch wichtig zu unterstreichen. Die ganze Spielzeit hindurch wirkt es stets so, als ob die langen Fahrten zwischen den Fragezeichen und Markierungen auf der Karte, lediglich unnötige Pausen zwischen den tollen Schießpassagen sind. Die Welt ist wunderschön, aber da sie nicht wirklich viel erzählerische Tiefe bietet, oder groß den Spieler beispielsweise durch zufällige Ereignisse überrascht, kommt die Welt hier nicht umhin, sich der Spielerfahrung hinderlich anzufühlen. Vielleicht wäre die Lösung hierzu gewesen, die Spielwelt kompakter zu machen, oder die Fahrdistanzen durch bessere (oder linearere) Führung kürzer zu halten. Aber vielleicht wäre ein wirklich komplett lineares Spieldesign für die letztendliche Spielerfahrung doch am besten gewesen. Der Vergleich mit DOOM bietet sich hier erneut an: Man stelle sich vor, man würde zwischen die 2-3-minütigen Schießlevel in DOOM jeweils 5-10 min Pausen einbauen, wo der Spieler mit einem schwammigen Fahrgefühl durch eine zwar schöne, aber eigentlich substanzlose Welt fährt. Das Schießen und die Fähigkeiten sind immer noch da, aber werden doch unnötig unterbrochen und damit die Spielerfahrung verwässert.
Dennoch gilt es zu unterstreichen: spielerisch ist Rage 2 wirklich sehr gut, sowohl in seinen Shootermechaniken als auch in den sonstigen Elementen, die der Spieler erhält, wie die Fähigkeiten oder selbst der gelegentlich auftretende Autokampf. Dennoch steht es sich zuweilen selbst im Wege.
Violetter Horizont
Man merkt, dass Rage 2 grafisch einige Abstriche macht, um sich selbst in 60 FPS präsentieren zu können. Es gibt doch einige spät nachladende Texturen und Objekte (zumindest auf der PS4 Pro), plumpe Charakterdesigns und Animationen, und selten auch repetitive Umgebungen. Doch generell macht das Spiel diese Abstriche durch andere Dinge wieder wett. Das Artdesign ist wirklich toll, die schrille Farbpalette gepaart mit dem extravaganten Weltdesign verpasst Rage 2 ein einzigartiges Aussehen. Die Explosionen und Schußeffekte sind sehr befriedigend und ergänzen das großartige Spielgefühl perfekt. Selbst die Musik wagt es von DOOM-ähnlichen Adrenalin-Metal zu Fallout-ähnlichen 60er Jahre Liebesliedern zu wechseln und erzeugt dabei eine wirklich seltsam abgefahrene Atmosphäre und passt somit perfekt zur restlichen Präsentation.