Wie macht man ein Spinoff zu dem erfolgreichsten Gaming-Franchise aller Zeiten? Ein Spinoff, was sich nicht nur auf ein einzelnes Gimmick beruft wie ein Pokémon Pinball oder Pokémon Snap, oder eins, was sich ein wenig ausgiebiger anfühlt als ein Pokémon Stadium? Vielleicht soll sich dieses Spinoff ebenfalls noch grundlegend in Präsentation, Gameplay und Atmosphäre von den Hauptspielen unterscheiden, ohne jedoch zu weit vom klassischen Spielgefühl abzudriften und dadurch eingesessene Fans zu vertreiben… Ein wahrlich unmögliches Verfangen.
Nicht ganz. Denn Entwickler Spike Chunsoft, damals nur Chunsoft, schaffte es mit dem allerersten Pokémon Mystery Dungeon Team Rot und Team Blau einen wahrlich faszinierenden Ableger des Franchise zu kreieren, der nicht nur in seiner Geschichte mitriss, sondern auch mit seinem Gameplay zu packen vermochte. Im Jahre 2020 kommt dieses Spiel nun erneut mit neuem Glanz zurück auf die Nintendo Switch. Doch wie macht sich das etwas andere Pokémon-Abenteuer in frischem Gewand? Wie gut das erste Pokémon Mystery Dungeon schon damals war und warum ihr sowohl als Pokémon- als auch als Dungeon Crawl-Fan diesen unglücklicherweise sehr unterschätzten Titel nicht verpassen sollt, erfahrt ihr hier.
“The best way to find yourself is to lose yourself in the service of others”
– Mahatma Gandhi
Die Geschichte von Pokémon Mystery Dungeon Rescue Team DX als eine mit grundlegend philosophischer Färbung zu bezeichnen mag für viele zunächst etwas befremdlich erscheinen, doch genau dieser Aspekt ist es, der diese Geschichte zu der absolut besten macht, die das gesamte Franchise zu bieten hat. Mystery Dungeon Rescue Team DX erzählt von Selbstfindung, von Empathie, von der Nächstenliebe und Selbstaufopferung; und wie all diese Pfade in die genau gleiche Richtung führen. Die Story hier ist so überraschend erwachsen, persönlich und berührend, dass sie gegenüber allen anderen im Franchise stark heraussticht. Man wird hier fast überrumpelt mit einer Schwere und Nachempfindbarkeit, die völlig konträr zu den sonstigen Pokémon-Stories stehen, die sonst immer in sehr seichten Gewässern operieren mit Moralappellen und Motiven, mit denen eine jüngere Zielgruppe besser umzugehen weiß und wo die erwachseneren Spieler an ihrem Punkt im Leben eher schon darüber hinweg sind. Mystery Dungeon DX hingegen scheint mit seinen Motiven und Messages auf einen viel späteren Zeitpunkt im Leben des Menschen abzuzielen, einen Punkt, wo er oder sie unter einer Identitätskrise leidet und sich seiner selbst besinnen muss.
Genauso strukturiert Mystery Dungeon DX auch seine Geschichte: Als Mensch in einem fremden (Pokémon-)Körper, dessen man sich zeitweise gar nicht mehr bewusst ist, macht man sich auf eine Reise, in der man Freundschaften schließt, seinen Traum verfolgt als Retterteam anderen Pokémon zu helfen und eine schöne neue Welt zu erkunden. Doch plötzlich wird die Identität des Protagonisten herausgefordert, sein Selbst wird erschüttert, sein Körpertausch zum Grund allen Übels in der Welt erklärt. Er wird aus der Gemeinschaft vertrieben, niedergemacht und auf sich selbst gestellt. Das Selbst, mit dem er sich nun anfreunden muss und welches er bislang stets verdrängte. Er muss sich nun selber finden, sich entscheiden wer er ist. Und das tut er, indem er weiter anderen Leuten hilft, sich selbst aufopfert für diejenigen, die keine Kraft dafür haben. Er findet in dieser Tätigkeit sich selbst, seinen Frieden und seinen eigenen Sinn des Lebens. Eine sehr gewichtige Reise, die in sehr berührende Momente und großartige Klimaxe mündet.
Der hauptsächliche Teil dieser Gewichtigkeit wird von den Nebencharakteren dieser Geschichte vermittelt. Mystery Dungeon DX schafft es, neben einigen etwas einfältigen Figuren, größtenteils wirklich tolle Persönlichkeiten aufzubauen, die es schaffen den Ernst der Lage zu transportieren und dabei wundervoll die Design- und Charaktervielfalt auszunutzen, die die unzähligen Pokémonarten ohnehin zu bieten haben. Ein höchst intelligentes und stoisches Kadabra, dass das beste Retterteam der Welt anführt und zwischen Verantwortung und Sympathie zwiegespalten ist; ein Xatu, dass abgeschottet von der Zivilisation lebt und als melancholisches Orakel dient, den die Leute verehren; ein Gengar, was als Rivale dient, dem Erfolg des Protagonisten gegenüber eifersüchtig ist und ihm das Leben schwer macht; einfach alles scheint perfekt zu passen. Am wichtigsten hier ist aber das Partnerpokémon mit dem man in das Abenteuer zieht, welches man sich selber aussuchen kann. An diesem reflektiert sich nämlich die gesamte Charakterentwicklung des Protagonisten, weil der Partner die hauptsächliche Sprecharbeit übernimmt. Doch obwohl dieses Partnerpokémon die aktivere Rolle der beiden und die hauptsächliche Traglast der Emotionalität innehat, funktioniert die Geschichte und die Entwicklung dennoch großartig.
Das Einzige, was man der Story von Mystery Dungeon leider etwas ankreiden muss, ist dass Spike Chunsoft es leider nicht ganz wagt, in diese ernstere Schiene hineinzutreten. Viele Momente und Interaktionen, vor allem was Nebengeschichten angeht, sind leider immer noch etwas sehr kindlich gehalten und damit ist nicht gemeint, dass Mystery Dungeon DX hätte ein graues, bitterernstes Spiel sein sollen. Man kann Ernsthaftigkeit auch mit einer spielerischen Lockerheit transportieren. Mystery Dungeon DX tritt einfach gelegentlich nur ein paar Schritte zu tief in den Sandkasten. Dies ist einerseits verständlich, da hier immer noch der Name «Pokémon» auf der Spielepackung steht, andererseits doch etwas schade im Gesamtbild.
Dungeon Crawling mit Pokémon Anstrich
Was das Gameplay angeht vereint Mystery Dungeon DX klassisches Dungeon Crawling mit den Elementen eines klassischen Pokémon-Spiels, was wunderbar dafür sorgt, dass selbst in diesem grundsätzlich anderen Spiel eine fundamentale Spur an altbekanntem Pokémon-Spielgefühl verbleibt. Gelegentlich sind immer ein paar sehr anstrengende Spielemechaniken eingebaut, die eher mühsam als befriedigend sind, wie zum Beispiel manche Wetter- und Statuseffekte. Doch selbst diese sorgen gemeinsam mit einem gewissen Survival- und Risikoaspekt dafür, dass die Härte der Geschichte sehr gut untermalt und betont wird. In einem Dungeon zu sterben bedeutet den Verlust aller Items, die man bei sich trägt, aber gleichzeitig muss man bestimmte Items mitnehmen, da man in den Dungeons neben der eigenen Lebensanzeige und der Angriffspunkte seiner Fähigkeiten, auch noch auf eine Hungeranzeige achten muss. Hier gibt es doch einige Mechaniken, die gut ineinandergreifen und zusammen mit der generellen Schwierigkeit der Gegner das Spiel anspruchsvoller machen als man es von kontemporären Spielen des Franchise gewohnt ist.
Gewisse Spielelemente wirken aber auch heute noch etwas unausgereift, wenn nicht sogar fehl am Platz. Das Makuhita-Dojo für Trainingszwecke außerhalb der Dungeons zum Beispiel wirkt immer noch etwas substanzlos und unoriginell. Die Lebensräume für weitere Teammitglieder, die man sich erkaufen kann, um sein Team zu erweitern, wirken auch eher unkreativ angeklebt als wirklich schön verwoben.
Der Sammelaspekt, der den Grundstein des Franchise darstellt, ist hier ebenfalls vorhanden wirkt aber immer noch etwas zu willkürlich. Dass man im Dungeon lediglich eine zufällige Chance hat, dass sich gewisse Pokémon deinem Team anschließen ist nicht wirklich motivierend dazu jedes Pokémon in sein Team aufzusammeln. Es besteht ein großer Unterschied darin, wenn man sich absichtlich dazu entscheidet einen Pokéball zu werfen, der eine zufällige Chance besitzt zu fangen, oder ob man einfach das Spiel normal spielen muss bis sich Pokémon dazu entscheiden sich dem Team anzuschließen. Diese Mechanik ist schlicht nicht wirklich unausgereift.
Die Zufälligkeit der Dungeons, was Maplayout, Item- und Gegnerplatzierungen angeht, sorgen dafür, dass der Gameplayloop für eine lange Zeit zu motivieren vermag. Mehrmals den gleichen Dungeon zu durchlaufen bleibt auch noch beim x-ten Mal interessant und spannend. Dass die Dungeons sich untereinander noch thematisch stark unterscheiden und auch ausgiebig von der schieren Vielfalt der Pokémon Gebrauch machen, trägt stark zu dieser Langzeitmotivation bei.
Grell und bunt
Rein technisch spielt sich Mystery Dungeon DX sehr gut, auch wenn die Steuerung sich in den Dungeons immer noch etwas hakeliger anfühlt als es sein müsste. Natürlich liegt dies daran, dass darin alles rundenbasiert funktioniert und nach jedem Schritt des Spielers alle Gegner auch einen Schritt machen müssen, aber dennoch hätte man das hier doch etwas geschmeidiger berechnen und darstellen können.
Das ganze Spiel ist in einem Wasserfarben-Look gestaltet, der auf ersten Blick sehr hübsch aussieht. Die Farben sind kräftig und kontrastreich und alles sieht aus wie handgemalt. Leider sind die Farben aber doch etwas grell geraten, so dass das Spiel teilweise etwas schwer auf den Augen liegt, vor allem bei längerer Spielzeit. Vielleicht hilft es hier als Spieler die Helligkeit etwas herunterzudrehen. Dennoch ist Mystery Dungeon DX ein Remake, was sich vor allem dank seines Artstyles solide in moderne Remakes einfügen kann.