Der Eskapismus oder die Immersion ist heutzutage in Videopielen wahrscheinlich zu einem der wichtigsten und weitverbreitetsten Designphilosophien vor allem der westlichen Spieleindustrie geworden. Genreübergreifend versucht man stets dem Spieler eine in sich kohärente Welt zu präsentieren, eine geschlossene Sphäre, in der alles was man tut, bekämpft und einsammelt aufeinander abgestimmt ist. In einem Piratensetting wie in Assassin’s Creed IV: Black Flag sind die Collectibles dann nun mal Schatztruhen und Gesänge für die Schiffscrew, in einem Marvel’s Spider-Man sind es Rucksäcke von Peter Parker. Dasselbe gilt für Gegnerarten, Leveldesign, Power-Ups und so weiter: Alle Elemente eines Spiels müssen kausal miteinander verknüpft werden, so dass nichts besonders heraussteht und alles perfekt ineinanderfällt. Die Immersion wird aufrechterhalten, der Spieler kann sich von seiner Realität lösen und perfekt in die des Spieles eintauchen.
In Zeiten wie diesen ist es aber überraschenderweise ein sehr altes Franchise, dass in seiner Herangehensweise völlig heraussticht. Das Comeback von Doom im Jahre 2016 schlug alle Regeln und Trends in den Wind und schockierte mit einem wohligen Oldschool-Spielgefühl aber gleichzeitig einer völlig neuen Art von Immersion. Doom Eternal führt nun vier Jahre später die Serie fort und überrascht erneut mit einer Art von Weiterentwicklung, die wohl niemand so erwartet hat.
Was Doom ausmacht
Zuerst ist es vielleicht wichtig zu definieren, was mit dieser «neuen Art von Immersion» gemeint ist. Was Doom 2016 damals ausmachte, war, dass es eigentlich alle Regeln dieser Immersion ablehnt, sie aber trotzdem erreicht. Doom 2016 und nun auch Doom Eternal ist in jeder Hinsicht ein Videospiel: sehr viele verschiedene Collectibles, die dem Doomslayer Upgrades ermöglichen, aber welche keinerlei oder nur eine sehr seichte narrative Erklärung in der Geschichte besitzen. Sie sind in jedem Sinn des Wortes nur einsammelbare Leuchtgegenstände und Doom macht sich auch nicht die Mühe wirklich zu verstecken, dass sie es sind. Genauso ist das Leveldesign in Doom purer Selbstzweck: manchmal verschlängelt, manchmal linearer, manchmal offener, aber niemals logisch. Das Spiel erwähnt kurz zu Beginn, dass diese Level eigentlich Orte auf der Erde wären, die nun von Dämonen überfallen und verseucht sind, aber vergisst das dann sogleich wieder und strukturiert seine Level so, wie sie möglichst dem Gameplay dienen. Deswegen: Wer Doom spielt um sich in einer höllischen Geschichte zu verlieren oder wer nach ausgeklügeltem narrativem Spieldesign sucht, der ist hier an der falschen Stelle.
Stattdessen wird schlicht und einfach alle Designentscheidung dem Gameplay untergeordnet. Was den Spielfluss verlangsamt oder stört wird aussortiert, selbst wenn es in diese Narrative der Hölle auf Erden passen würde. Aber diese konsequente Vorgehensweise der Entwickler zeigt unglaublich großartige Ergebnisse: Doom Eternal fühlt sich einfach fantastisch an und erreicht diese spezielle Art von Immersion noch intensiver als Doom 2016. Doom Eternal ist ein wütender Tanz des Adrenalins, ein reißender Fluss aus Blut und Schreien, manchmal unterbrochen von Momenten des intensiven Atemanhaltens. Jedes Mal, wenn die brachiale Musik sein Tempo schlagartig erhöht, wenn die großartig designten Dämonen schreien und beginnen anzugreifen, wenn der Spieler plötzlich fast kein Leben oder Munition mehr hat und in Sekundenschnelle reagieren muss, dann wird Doom Eternal zu etwas ganz besonderem: Ein Spielgefühl, dass wohl eher mit dem Begriff «heftiger Trance» besser zu beschreiben ist. Die Musik, die Waffen, die Dämonen, dass Sound- und Leveldesign, sie sind alle Zahnräder in diesem genialen Gameplay, die so perfekt ineinandergreifen und plötzlich anfangen sich gnadenlos zu drehen, dass der Spieler schlicht nicht anders kann als mitgerissen zu werden.
Doom Eternal vermag es dieses Spielgefühl im Vergleich zu Doom 2016 aber ein bisschen anders zu färben. Denn was im Vorgänger eher blindem Draufschießen glich, gleitet in diesem Spiel in hektisches, aber dennoch strategisches Nachdenken über. Die Munitionsmenge wurde heruntergeschraubt, die Gegner sind schneller, die Level teilweise enger, aber gleichzeitig erhält der Slayer auch mehr Werkzeuge, mit denen er arbeiten muss und sogar eine Art von Platforming-System. Die Betonung liegt hier auf «muss», da sonst Doom Eternal in seiner Schwierigkeit gnadenlos wird. Vor allem zu Beginn mag dies für zurückkehrende Spieler etwas gewöhnungsbedürftig sein, ihnen vielleicht sogar negativ aufstoßen. Es ist definitiv ein mutiger Schritt von Id-Software das Gameplay auf diese Weise zu verändern, da genau die ungedämpfte und freie Kampfweise den meisten Spielern im Vorgänger so gefiel. Doch wenn man sich darauf einlässt und vor allem mit jedem Level mehr und mehr alle Möglichkeiten des Spiels ausschöpft wird Doom Eternal zu einem der besten und intensivsten Singleplayer-Shooter aller Zeiten.
It’s not always sunny in hell
Der Fokus von Doom Eternal liegt im Gameplay, weswegen es wenig überrascht, dass die Geschichte wieder sich in sehr seichten Gewässern herumtreibt. Doch leider kommen hier erste Inkonsequenzen in der vorhin erwähnten absoluten Tilgung der Gameplay-verlangsamenden Spielelemente zum Vorschein. Doom Eternal hat tatsächlich zu viel Geschichte. Id-Software schlägt hier einen anderen Weg ein als im Vorgänger. Während dieser nämlich absichtlich sehr unbedacht und uninteressiert an seiner eigenen Geschichte vorging, dramatische Momente als Witze abtat und damit einen wunderbaren Charme kreierte, verschwindet dieser leider hier. Es gibt einige Zwischensequenzen, die auch eher zu lang sind. Immer mal wieder wird der Fluss des Gameplays unterbrochen, um gewisse Storyelemente einzuführen. Die Möglichkeit hätte sicherlich bestanden, dass die Erhöhung der Storyrelevanz in Doom Eternal funktionieren hätte können, aber dafür hätte auch die Qualität der Geschichte selbst mitziehen müssen. Doch Doom Eternal ist genauso wie Doom 2016 eine etliche Jagd an MacGuffins und Figuren, die den dramatischen Takt nicht zu treffen vermögen. Auch verbannt Id-Software leider sehr viel relevante Information für diese Geschichte in Logbucheinträge, wodurch hier ein sehr chaotisches Gesamtbild entsteht. Doom Eternal will eine eher ineffektive Geschichte mit einigem, aber nicht vollem, Engagement erzählen, aber versagt dadurch auf ganzer Linie. Obwohl doch einige sehr interessante Ideen, wie die Herkunft des Doomslayers hier drin gewesen wären.
Dennoch gilt zu sagen: Doom Eternal funktionert auch, oder ist sogar besser, wenn die Geschichte vollkommen ignoriert wird und man sich schlicht auf den Fluss und die Erfahrung des Gameplays konzentriert. Leider funken da gewisse Zwischensequenzen mit ihrer Länge und Platzierung negativ hinein, aber an dieser fantastischen Spielerfahrung vermag dies nicht zu sehr zu rütteln.
Die Sache mit den Collectibles
Doom Eternal ist ein Spiel was in jeder Faser seines Wesens den Begriff «Übertreibung» verkörpert. Meistens trägt dies zum Positiven bei und macht das Spiel zu so einer bizarren, lustigen aber gleichzeitig unglaublich majestätischen und großen Spielerfahrung, wie sie selten sonst zu finden ist. Doch in einer Sache schlägt Doom Eternal leider über die Stränge, wo Doom 2016 sich noch zurückhalten konnte: Die Collectibles und Upgrades. Doom ist nämlich auch im Grunde ein sehr simples Spiel und nimmt aus dieser Einfältigkeit seine massive Wirkung. Doom Eternal führt leider aber im Verlauf des Spieles so viele verschiedene einsammelbare Gegenstände und Upgrademöglichkeiten ein, dass der Spieler sich beinahe außerhalb des Gameplays überladen fühlt. Und dies sollte genau vermieden werden. Die Konzentration des Spieler sollte nicht vom Gameplay an sich auf irgendwelche verschiedenen Baumöglichkeiten des Doomslayers gelenkt werden, denn das führt doch zum gelegentlich Immersionsbruch. Die Collectibles sind sehr clever versteckt und nutzen vor allem das ziemlich gute neue Platforming-System sehr gut aus, aber deren schiere Diversität ist doch etwas zu viel.
Der König der Präsentation
Technisch ist das Spiel schlicht atemberaubend und läuft dabei auch noch kompromisslos in 60 FPS. Doch das Besondere an Doom Eternal ist nicht die Grafik, sondern die gesamte Präsentation an sich, denn hier zählt das Spiel zur Spitze der gesamten Gaming-Branche. Die Musik von Mick Gordon ist absolut genial, teils atemberaubend schnell und chaotisch, teils nervenkitzelnd rhythmisch und ruhig, doch stets perfekt komplementär zum Gameplay. Die Waffen, die Monster und die Umgebungen sind detailreich und brachial gestaltet, die Soundeffekte enorm basslastig und wuchtig. Doom Eternal präsentiert sich einfach nur makellos mit einer kleinen Ausnahme: Zuweilen kann es ganz kleine Fragmentierungen geben, wenn man in einen neuen Teil des Level hineinläuft, weil hier wohl Texturen ein wenig zu langsam nachladen.