In einer Zeit, in der in der Entertainment-Branche Remakes und Reboots von alten Marken das Land beherrschen, in der alte Konzepte neu aufgewärmt und allein mit hübscher neuer Grafik überbacken und serviert werden, in der Nostalgie das mächtigste Werkzeug ist, den Konsumenten einzufangen, sollte man solch waghalsige Experimente, wie Control eines ist, besonders wertschätzen. Selbst ganze ohne die Beachtung von jeglicher Qualität des Spieles, ist es wichtig weiterhin solche kreativen, experimentellen Projekte zu unterstützen, denn diese sind es, die die Industrie am meisten vorwärtsbringen.
Entwickler Remedy Entertainment ist dafür bekannt, neues auszuprobieren und frische, einzigartige Erfahrungen zu bieten. Mit Spielen wie Max Payne, Alan Wake oder selbst Quantum Break lieferten sie faszinierende Ideen und neue Konzepte im Medium Spiel und zeigten dadurch Risikofreudigkeit, die sich auch auszahlte. Alle diese Spiele mögen ihre Kritikpunkte gehabt haben und nicht makellos gewesen sein, jedoch bieten sie alle einen Mehrwert, der über allein generelle Qualität hinausgeht. Ihr neuestes Spiel, Control, schließt sich diesem Muster perfekt an, ist sogar das mit Abstand ausgefallenste und seltsamste Werk des Entwicklers. Was das genau bedeutet und ob Control seine Ideen auch in ein gutes Spiel einarbeiten konnte, soll nun besprochen werden.
Jesses Bizarres Abenteuer
Bereits der Grundaufbau von Controls Welt und Spielfluss beginnt mit Konventionen zu brechen. Das Spiel ist zwar in seinen Fundamenten ein linearer Third-Person-Shooter, präsentiert seine Welt aber als semi-offen. Hauptfigur Jesse wird in den Hauptmissionen relativ linear durch die Levels geschickt, mit einer ordentlichen Portion an Backtracking, doch abseits davon liefert Remedy dem Spieler eine gut dosierte Anzahl an optionalen Nebenmissionen und belohnt sogar Erkundung. Die Welt selber besitzt einen leichten Metroidvania-Anstrich, da der Spieler immer wieder während der Erkundung auf blockierte Pfade oder Räume stoßen kann, die ihm erst später, durch Story-Fortschritt oder neue Fähigkeiten zugänglich werden.
Die Missionen wiederum spielen sich linear und lokal in Räumen oder Abteilungen des großen Bürokomplexes ab, welches die Spielwelt darstellt. Die Spielwelt ist dabei aber so eng und verwoben designet, dass der Übergang von offen zu linear überraschend dynamisch geschieht, ohne dass es dem Spieler überhaupt bewusst wird. Dieser ständige Kontrast zwischen offen und linear, frei aber doch eingeschränkt durch den kompakten Aufbau der Welt, erzeugt eine sehr tolle Abwechslung im Spielgefühl. Das Spiel kann dadurch die Spielerfahrung verschärfen und das Tempo anziehen, wenn die Geschichte oder die Inszenierung es nötig hat, aber später auch wieder Ruhemomente einführen, ohne dass sich der Spieler in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt.
Die Spielwelt von Control ist sehr verwoben und macht eigentlich, wenn man darüber nachdenkt nicht viel Sinn in seinem Aufbau als Bürokomplex. Doch dieses sehr verworrene Design des sogenannten «Oldest House» wiederspiegelt perfekt die Geschichte, die man hier versucht zu erzählen. Die Story von Control erzählt sich, genauso wie die Welt aussieht und aufgebaut ist, äußerst surreal, bizarr und nahezu ungreifbar. Sie ist so überladen und unerklärt, dass sich sogar das Spiel selber in einigen Szenen selber über diese unnötige Komplexität lustig macht. Diese Eigenschaft der Geschichte trägt zwar zur einzigartigen surrealen Atmosphäre bei, opfert dafür aber jeglichen emotionalen Effekt, der beim Spieler aufkommen könnte. Vagheit und Geheimnisse sind eigentlich ein tolles Mittel dazu, den Spieler nur noch mehr in die Geschichte zu involvieren und ihn dazu zu motivieren, selbst mit- oder fertigzudenken. Doch Control überschreitet hier jegliche erzählerischen Grenzen. Die Figuren sind nicht nur in Nebel und Rauch gehüllt, und die Geschichte in Mystik und Magie, sondern sie ertrinken regelrecht darin.
Spielgefühl: Eine Geschichte von Animationen und Effekten
Wo der Surrealismus des Spiels einen Schritt zurück macht, ist im Gameplay. Dieses teilt sich in zwei Bestandteile auf: Shootergameplay und Jesses Fähigkeiten. Dabei harmonieren und ergänzen sich diese beiden Elemente leider nicht ganz so wie man es sich vorstellen und wünschen würde, jedoch funktionieren sie für sich allein so gut, dass man fast schon über diesen Verlust hinwegzusehen vermag. Das Schießgefühl ist hervorragend satt und wuchtig, die Fähigkeiten zwar simpel in ihrer Idee, jedoch ebenfalls unglaublich befriedigend zu benutzen. Was aber diese Elemente nochmals um mehrere Qualitätsstufen anhebt sind die absolut genialen Animationen, Effekte und physischen Reaktionen des Spiels auf die Handlungen des Spielers. Die Inszenierung ist so explosiv und fantastisch, bleibt aber gleichzeitig dem surrealen Grundton von Control treu. Die wunderbar zerstörbare Umgebung sorgt für ein Gefühl von Chaos, wie man ihn am besten mit den Matrix-Filmen vergleichen könnte: Das Gefühl von Macht und Befriedigung erreicht dann den Höhepunkt, wenn man sich nach dem Kampf in einem vorher relativ intaktem Raum umdreht und sich die zersplitterten Fenster, die zerbrochenen Brunnen und Türen, die löchrigen Wände und Böden ansieht, mit denen man den Raum zurücklässt. Control lässt vor allem gameplaytechnisch, durch das geniale Zusammenspiel zwischen dem satten Spielgefühl der einzelnen Mechaniken, sowie der wuchtigen Inszenierung ein hervorragenden Spielgefühl zurück.
Neben dem Chaos gönnt Control dem Spieler immer wieder aber auch eine ordentliche Portion Ruhe und vor allem Atmosphäre. Das Spiel lässt es sich nicht nehmen den Spieler ohne Musik in einen dunklen Raum im Stich zu lassen, der durch geniale visuelle Experimente und tolles Sounddesign in seiner Stimmungsintensität höchst aufblüht. Auch wenn erneut der Spieler mit teilweise ebenfalls sehr bizarr und irrelevant scheinenden Info-Collectibles erschlagen wird, erzeugen die teils unglaublich faszinierenden Lichtspielereien, Live-Action-Zwischensequenzen, und die allgemeine Struktur der Level eine tolle Spielatmosphäre, die den Spieler auch außerhalb der Action zu packen vermag und ihn nie orientierungslos im Stich lässt. Nur selten kommt es vor, dass sich der Spielfluss etwas verlangsamt und der Spieler sich doch wünscht es würde etwas schneller vorangehen. Selbst die ständige Erweiterung des Waffenarsenals und der Spielwelt selbst ist oft genau so dosiert, dass sie den Spieler dann abholt, wenn sein Interesse und Aufmerksamkeit gerade beginnt zu sinken. Das Backtracking jedoch, sowie dass es nur wenige verschiedene Fähigkeiten und somit Spielmechaniken gibt, könnte dennoch bei manchem dem Gefühl von ständiger Repetition zum Sieg über dieses Interesse verhelfen.
Die Technik der Zukunft
Control sieht wirklich fantastisch aus. Der Untertitel hier mag zwar etwas übertrieben klingen, und es gibt sicherlich Spiele, die rein technisch eine konsistentere Leistung als Control bringen und dabei grösser sind und besser aussehen. Jedoch geht Control vor allem in Sachen Animationen und Zerstörbarkeit in eine Richtung, wie man sich wohl Spiele in der Zukunft vorstellen kann. Alles ist zerstörbar, jede Animation ist bis in ihre Haarspitzen durchdesignet, kleinste Partikel erfüllen die Luft. Dabei muss Control natürlich Abstriche machen, vor allem was teils Texturschärfe und stabile Framerate angeht. Dennoch setzt Control diese Abstriche so perfekt, dass sie einem nur wenig auffallen, allein weil sie in diesem Kerngameplay und Inszenierung nicht so vordergründig sind. Control ist kein Spiel, dass einer milimetergenauen Inspektion jedes Tisches, Stuhles und aufgehängten Plakates bedarf, sondern es setzt seine technischen Ressourcen genau da ein, wo es das Spielgefühl am meisten unterstützen kann.