Videospiele sind ein breites und offenes Medium – eines welches es sonst in dieser Form kaum gibt. Es ist ein Medium, welches besonders heutzutage unterschätzt wird. Ein Medium, welches jährlich eine so umwerfende, unerwartete und riesige Vielfalt an Geschichten beherbergt. Geschichten, die von brillanten, spaßigen oder gar bizarren Mechaniken unterstützt werden. Und AI: The Somnium Files ist dafür ein passendes Beispiel. Als Visual Novel hat es das Spiel schwer, da vor allem heute noch viel Diskussion herrscht, ob Visual Novels, wie AI: The Somnium Files, überhaupt als Videospiel gesehen werden dürfen. Visual Novels sind ohne Zweifel ein Nischen-Genre, da sie so sehr vom typischen Bild eines Videospiels abschweifen, jedoch verstecken sich in genau diesem Genre die glänzenden Perlen, und AI: The Somnium Files ist eine von ihnen.
Mehr als ein einfacher Detektiv
Tokyo sieht sich in einer Zukunft von technischem Fortschritt. Hologramme prägen die Straßen der japanischen Stadt, die Polizei benutzt futuristische Maschinerien, um in die Träume von Leuten zu gelangen und künstliche Intelligenz steht voll und ganz im Rampenlicht. Obwohl die Gesellschaft so fortgeschritten ist, fühlt sie sich unglaublich nahe an. Wir steigen in die Rolle von einem Detektiv namens Kaname Date. Dieser ist aber kein gewöhnlicher Detektiv. Vor rund sechs Jahren verlor Date sein Gedächtnis und sein rechtes Auge, aber es war auch dort, als er in die Riege der Polizei einstieg. Date mag sein rechtes Auge verloren haben, im Gegenzug erhielt er aber eine treue Gehilfin – die künstliche Intelligenz, die in seinem rechten Auge sitzt, Aiba. Als Detektiv kann eine solche KI durchaus nützlich sein, da Date um einige Sinne bereichert wurde. Zum Beispiel kann er dank Aiba telefonieren, auf Gegenstände hineinzoomen oder aber auch mit der X-Ray-Einstellung durch beliebige Objekte hindurchsehen.
In der Realität spielt jedoch nur ein Teil des Videospiels. Date kann mithilfe von junger Technologie „psyncen“. In einem solchen Psync begibt man sich in den Traum einer Person und kann dort verschiedene Informationen erhalten, wenn man mit Gegenständen und Personen in dem Traum interagiert. Regeln in einem solchen Psync unterscheiden sich von Person zu Person. Somit kann man auf einen Traum mit den uns bekannten Regeln treffen oder auf Träume, wo es ans Experimentieren geht. Date lehnt sich in den Psyncs zurück, während Aiba sich den verwirrenden Aufgaben des Traumes widmet. Träume halten oft Schlüsselinformationen, die man nur dort, tief in der Psyche eines anderen, finden kann.
A-Set, you bet!
Die wahre Stärke des Spiels liegt allerdings in der spannenden Geschichte und den Charakteren, die Detektiv Date bei seiner Arbeit unterstützen. Wie schon erwähnt ist Date nicht alleine, eine KI namens Aiba hat ihn sich regelrecht zu ihrem Wirt gemacht. Und während Aiba als Werkzeug zur Untersuchung äußerst nützlich ist, ist es sie selbst, die das Spiel bereichert. Die Interaktionen zwischen ihr und Date sind unglaublich unterhaltsam und glaubhaft. Beide Charaktere geben dem Spiel den Besonderen Touch und sind tolle Partners in Crime. Mal abgesehen von dem Duo sehen wir in Tokyo noch viel mehr Persönlichkeiten. Auf euren Ermittlungen trefft ihr auf Iris Sagan, welche aber besser als A-Set bekannt ist. A-Set ist eine Let’s Playerin, die als YouTube-Star ans Rampenlicht gekommen ist und sie mag sehr naiv wirken, doch unter der Fassade steckt viel mehr, als sie preisgibt. So ist es tatsächlich mit den meisten Charakteren in AI: The Somnium Files.
Alle, die eine Rolle im Fall des Serienmörders spielen, egal wie klein diese sein mag, sind überraschend tiefgründig und realitätsnah geschrieben. Diese Art, wie die Persönlichkeiten und Leben im Spiel dargestellt werden, lässt die Welt von AI: The Somnium Files näher und echter wirken als ich es bisher in einem Visual Novel erlebt habe. Natürlich hat es hier und da ein paar verrückte Momente, jedoch wird die Welt einem viel näher gebracht, als man es sonst kennt. Mit jeder Sekunde wachsen einem die Charaktere immer mehr ans Herz und mit jedem weiteren Opfer möchte man die grausamen Serienmorde einfach beenden. Anders als bei dem üblichen Visual Novel bietet AI: The Somnium Files eine Vielzahl an Enden, die ihr auf eurer Untersuchung erreichen könnt. Wie aber bei anderen Werken von Kotaro Uchikoshi wird euch eine Flow Chart geboten. Das Spiel ermutigt euch auch diese Flow Chart zu benutzen, dort könnt ihr von einem beliebigen Tag zum anderen springen. Es lohnt sich auch viele der Enden selber zu sehen, und auf einige werdet ihr selber auch ungewollt stoßen, da es keinen wirklich richtigen Weg gibt. Vieles erinnert stark an Spiele der Zero Escape-Reihe und funktioniert auch genauso wie in den Spielen, hier hatte ich aber den Eindruck, dass es besser strukturiert ist.
Wie durch das Auge einer KI
In Sachen Präsentation liegt AI: The Somnium Files ganz weit vorne. Selten gibt es Visual Novels, die sich so grandios präsentieren. Die Geschichte wird uns in vollen 3D-Umgebungen erzählt, in denen wir alles, was wir sehen erkunden können, was teilweise sogar viel zu viel ist. Die Charaktere bewegen sich in der Welt und interagieren mit anderen Charakteren und Objekten. Viele Visual Novels haben oftmals kaum Animationen oder 3D-Umgebungen, was eben bei AI: The Somnium Files das Gegenteil ist. Manchmal wirken die Animationen mancher Charaktere oder Zwischensequenzen aber abgehackt oder ein wenig steif.
Beim Ermitteln wird ein übersichtliches und schickes Nutzerinterface geboten, welches sich an die Spielwelt anpasst und man nach einigem spielen auch kaum mehr bemerkt. Es scheint so, als würde man die Ereignisse direkt durch die Augen von Date erleben. Als wäre das schon nicht genug ist die japanische und auch englische Sprachausgabe atemberaubend. Das Spiel bietet euch die Wahl zwischen japanisch und englisch, ich habe mich für die englische Sprachausgabe entschieden und war mehr als überrascht. Englische Sprachausgaben sind dafür bekannt inkorrekte Aussprache zu haben oder viel zu drastisch vom Original abweichen. AI macht aber all dies nicht. Es gibt jedem der Charaktere sogar noch einen eigenen, positiven Wiedererkennungswert. Wir haben AI: The Somnium Files auf der Nintendo Switch getestet. Der Nintendo Switch Port unterscheidet sich nicht allzu stark von den anderen Versionen, jedoch gibt es in manchen Zwischensequenzen kleine Framedrops, die aber nicht das Gameplay beeinflussen. Wie bei den meisten Nintendo Switch-Spielen hat auch AI: The Somnium Files kein Antialiasing.
AI: The Somnium Files erscheint am 20. September für PlayStation 4 und Nintendo Switch, während PC-Spieler via Steam schon ab dem 17. September loslegen können. In Europa wird das Spiel von Numskull Games herausgegeben.