Es wäre nicht falsch zu behaupten, dass Indie-Spiele wie Undertale, Outlast und einst besonders Minecraft den kreativen Schaffensdrang regelmäßig innovieren. Alle der genannten Titel haben jedoch noch etwas anderes gemeinsam, obwohl sie verschiedenen Genres entspringen: sie haben dann die Bühne der Videospielindustrie betreten, wenn man es am wenigsten erwartet hat. Andere Werke fallen aber aufgrund eines individuellen Aspekts auf. Sei es wegen dessen Umfang und Schwierigkeitsgrad wie Hollow Knight, Ähnlichkeit zu legendären Klassikern wie Shovel Knight oder aber wegen eines außerordentlich schönen Stils, wie eben “Cris Tales”. Und obwohl das Indie-Abenteuer dem Spieler mit seinem, von Cartoon-Network-Serien der frühen Zweitausender inspirierten, Stil ein schönes Auge macht, verbirgt sich im Inneren nichts von Substanz.
In Cris Tales’ Mittelpunkt steht die, passend benannte, Waise Crisbell. Als sie eines Tages am Rosenbeet des Waisenhauses arbeitet, wird eine der knallroten Blumen von einem modisch gelben Frosch gestohlen. Verzweifelt sucht Crisbell in ganz Narim nach dem Frosch, bis er sie letztendlich in die Kathedrale des Dorfes führt. Wie es sich herausstellt, hat der Frosch, Matias, Crisbell gezielt in die Kathedrale geführt, da sie die Auserwählte ist, die die Kraft der Zeitverschiebung führen soll. Nach der Verkündung ihrer Berufung wird Narim von Kobolden angegriffen und natürlich eilt das Duo aus Mensch und Frosch zu Hilfe. Bevor Crisbell aber richtig zuschlagen kann, braucht sie das Schwert des Zeitmagiers Willhelm, eine von Matias’ vielen Bekanntschaften. Nachdem der Angriff abgewehrt und eine desaströse Zukunft weiter zurückgedrängt wurde, stellt sich Crisbell ihrem Schicksal und bricht zusammen mit dem jungalten Willhelm und Matias zu einer Pilgerreise auf, um die bunten Bleiglasfenster aller Kathedralen des Landes zu sehen.
Zeit für ein antiklimaktisches Abenteuer
Die Thematik der Zeit ist Cris Tales’ roter Faden, der sich durch nahezu alle einzelnen Elemente des Spiels durchzieht. Schon am Anfang wird man mit einer Zeitreise-Mechanik im Kampfsystem konfrontiert. Anders als in den meisten rundenbasierten Rollenspielen des Genres hat die Gruppe mit Gegnern vor und hinter ihnen zu kämpfen. Dank Crisbells neu erweckten Kräften kann sie die Gegner beider Fronten entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft versetzen. Selbstverständlich werden die Gegner auf der linken Seite in die Vergangenheit geschickt, während Gegner auf der rechten Seite zu ihrem künftigen Ich werden – wie sollte es auch sonst sein. Diese Mechanik selbst bleibt aber leider nicht mehr als eine einfache Spielerei. Kurz bevor das Abenteuer richtig anfängt, wird man mit der Zeitreise-Mechanik vertraut gemacht und bekämpft einen Boss, der in eine metallene Schale gehüllt ist. Um dem mächtigen Gegner jeglichen Schaden anrichten zu können, müssen Crisbell und Co. kreativ werden. So tränken sie die eisernen Wände in Wasser und spulen dann die Zeit vor, damit das Metall in Rost verfällt. In Sachen Einfallsreichtum hört es aber genau hier auf, direkt am Anfang des Titels. Später kann der Zeitmagier Willhelm giftige Sprossen verschießen, welche Crisbell mit dem Zeitkristall schneller sprossen lassen kann, allerdings ist in den meisten Fällen Crisbell als Erstes am Zug, weswegen sich das Wachsen des Sprosses um eine ganze Runde verspätet und als Fähigkeit eigentlich mehr als nur ineffizient ist.
Ein weiteres Problem im Kampfsystem liegt in dessen Grundgerüst. Wie in den beliebten Rollenspiel-Ablegern des roten Klempners muss man bei gewöhnlichen Angriffen im Nahkampf einen bestimmten Rhythmus einhalten, um das volle Potenzial erreichen zu können. Wo man bei Paper Mario oder der Mario & Luigi-Reihe akustische, aber auch visuelle Signale bekommt, wann man die Controller-Taste drücken muss, gibt es bei Cris Tales nichts dergleichen. Das gleiche Prinzip findet man auch beim Verteidigen vor. Anstatt auf die Muster und Bewegungen des Gegners zu achten, ist man hier gezwungen herumzuexperimentieren, bis es irgendwie und irgendwann klappt. Alle anderen Fähigkeiten und Angriffe erfordern keine Aufmerksamkeit oder zusätzlichen Eingaben des Spielers. Dies führt dazu, dass das Kampfsystem ein merkwürdiger Hybrid ist, der verschiedene Spielweisen implementiert, aber dabei die Qualität und den Spaßfaktor jener vernachlässigt.
Beim Erkunden der Städte sieht man durchgängig die verschiedenen Ären, die die Stadt durchlebt hat oder noch durchleben wird. So sieht man, wie eine Stadt in Zukunft im Ruin steht oder wie verschiedene Einwohner ihre Kindheit verbracht haben. Auch hier hat die Mechanik selbst wenig Nutzen, außer eine nette, thematisch passende Spielerei zu sein. Ab und zu verlangt das Spiel von euch in der Vergangenheit nach bestimmten Gegenständen zu suchen oder die Gedanken von jemandem in die Gegenwart zu überbringen. Dabei hüpft man mit Matias, in gefühltem Schneckentempo, herum. Mehr als das bietet das Zeitreisen jedoch nicht. Zudem kann es an bestimmten Stellen durchaus irritierend sein, den gleichen Ort in drei verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Stadt A, Stadt B und Stadt C
Auf der großen Reise, alle Kathedralen mit eigenen Augen zu sehen, durchquert man einige Städte, jede mit ihrem eigenen, geschlossenen Storybogen. In Narim City trifft man auf eine Gruppe von Bauern, die sich gegen den rücksichtslosen Umgang gegenüber der Umwelt des Bürgermeisters auflehnt. So schnell wie dieser Konflikt aber vorgestellt wurde, wird er auch wieder gelöst und vergessen. In der nachfolgenden Stadt trifft man diesmal auf einen Konflikt zwischen Umweltschützern und einem Bürgermeister, der rücksichtslos mit seinen Arbeitern und der Umwelt umgeht. Zur Welt und den einzelnen Städten erfährt man im Abenteuer ebenfalls nicht viel. Die Storybögen der Städte doppeln sich und wiederholen sich teilweise und selbst dann fühlt es sich so an, als ob das eigentliche Problem nicht ausführlich thematisiert wird, und man dies nur hinzugefügt hat um den leeren Städten einen oberflächlichen Anstrich zu geben. Neben den Städten sind auch einige der Hauptcharaktere in ihrer Gestaltung flach, während andere deutlich mehr Sorgfalt erfahren durften. Charaktere wie Christopher und Willhelm haben zum Beispiel keine herausstechende Fähigkeit, die ihnen Identität verleiht. Willhelm hat natürlich seine Sprossen, welche allerdings selten zum Einsatz kommen und umständlicherweise Crisbells Hilfe benötigen. Andere Charaktere wie der Roboter JKR-721 allerdings haben Eigenarten, Spielmechaniken und Animationen, die sie besonders machen. So muss man beim Benutzen von JKR-721 aufpassen, dass man seine Fähigkeiten, die die Eingabe des Spielers erfordern, nicht überstrapaziert, da er sonst überhitzt und einen Teil seiner Gesundheit verliert. Zudem kommt noch, dass manche Charaktere an verschiedenen Stellen komplett aus ihrer Rolle stolpern und teilweise unrealistisch geschrieben sind. So verliebt sich ein Charakter in einen neu eingeführten Nebencharakter binnen weniger Minuten und ist ungefähr 30 Minuten später von Wut erfüllt, als besagter Nebencharakter entführt wird. Dieser Bogen würde glaubhaft wirken, wenn den Charakteren und der Beziehung mehr Zeit gewidmet werden würde, was hier leider oftmals aber nicht in Erwägung gezogen wurde.
Verschwendetes Potenzial, immer wieder neu auftretende Probleme und Cris Tales gehen Hand-In-Hand. Das Level-Design ist eines, welches wohl kaum zu ignorieren ist. Obwohl die Städte sich äußerlich voneinander abheben, ähneln sie sich stark im Level Design. Manche Passagen haben Elemente, die keine wirkliche Funktion haben, als einfach nur da zu sein. In der zweiten Stadt taucht die Gruppe in der Kanalisation unter, um sich heimlich in die oberste Etage der Stadt zu schleichen. Hier hat man oft mit Fluten zu kämpfen, die Crisbell zurückdrängen. Es steht dem Fortschreiten des Spielers im Wege, ohne jegliche Konsequenzen dagegen zu steuern. Wenn die Flut kommt, kann man in eine Seitengasse schlüpfen, man kann aber genauso einfach weiterlaufen, weil man keine Schäden davonträgt. Wie die Zeit selbst zieht sich auch ein roter Faden des sich konstanten “Wieso genau ist das jetzt hier?” Fragens durch das gesamte Werk.
Merkwürdigerweise hat die PlayStation 5-Version des Spiels an manchen Stellen Frameeinbrüche, die teilweise sogar unter den 30 FPS-Standard rutschen. Auch wird man mit Hunderten von Ladebildschirmen konfrontiert, die zugegebenermaßen meist nur drei Sekunden auftauchen, aber gefühlt bei jeder zweiten Aktion auftauchen. Selbst vor den zufallsbasierten Kämpfen taucht ein öder Ladebildschirm, anstatt einer aufregenden Kampfanimation auf und macht das ganze Prozedere zu einer lästigen Pflicht.
Was man Cris Tales aber nicht absprechen kann, ist der einzigartige Flat Colors Kunststil, von dem der Titel durchgängig Gebrauch macht. Besonders das Aussehen der Charaktere erinnert an Klassiker wie Samurai Jack und Dexters Lab. Imposante Bauten, umwerfende Landschaften und bunte Paraden sind nur ein paar der Dinge, die vom Art Style komplementiert werden. Genauso wie manche Dinge besonders aufgrund des Stils herausstechen können, gibt es auch Dinge, die aufgrund der monochromatischen und flachen Farben letztendlich enttäuschend aussehen. Im Speziellen fallen willkürliche Muster auf dem Boden auf, die über die ganze Welt Cris Tales’ gepflastert sind.