Es gibt wohl kein so durchwachsenes Franchise, dass den Begriff «Achterbahnfahrt» so verkörpert wie Call of Duty. Noch in den frühen 2010er Jahren als Pionier und Revolutionär des Multiplayer-Genres mit dazu noch relativ guten Singleplayer-Kampagnen den Markt dominiert, verfiel die Shooter-Reihe alsbald mit einem großen Abfall an Qualität in ein ewiges Pendel jährlicher Releases. Seit Call of Duty: Advanced Warfare, was nicht zum Besten gehört, was die Reihe zu bieten hat, aber zumindest mit dem neuen Bewegungssystem eine gewisse Ambition zeigte, befand sich das Franchise seit vielen Jahren in einem seltsam stagnierenden Rhythmus, woraus es sich trotz, oder vermutlich genau wegen, finanziellen Erfolges nicht befreien konnte. Gleiche Engine, gleiches Spielprinzip, teilweise sehr intrusive Monetarisierungssysteme, nur wenige Experimente und minimales Risiko.
Im Jahr 2019 geschah aber mit Call of Duty: Modern Warfare ein Umdenken in einem Maße, was so nicht abzusehen war. Plötzlich wurde die gesamte Engine überarbeitet, das Spielgefühl entschleunigt und eindrücklicher, gewichtiger gemacht. Call of Duty war nun nicht mehr der nur schnelle Arcade-Shooter, den man halb gedanklich abwesend einfach so wegspielt, er war nun heftiger, schwerer, wuchtiger. Veraltete Animationen und Präsentation generell wurden durch unglaubliche Liebe zum Detail ersetzt, man entschied sich bewusst Elemente, die seit Jahren beliebt waren herauszunehmen oder zu untergraben, um ganz bewusst ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen. Das Resultat: eine riesige neue Spielerschaft, die unglaublichen Gefallen an dem neuen Spielgefühl findet, eine neu erwachte Community und ein wiederbelebtes Franchise, dass nun endlich vermochte aus seiner eigens gebauten Schale auszubrechen. Aber zu diesem Resultat gehören auch viele der alten Spieler, die Veteranen, die der Reihe jahrelang treu blieben und sich nun im Stich gelassen fühlten und eigentlich nur ein an alten Zeiten orientierten Ableger bekommen wollen.
Treyarch steht nun mit dem Nachfolger von Modern Warfare, Call of Duty: Black Ops Cold War, vor einem schwierigen Balanceakt: Will man die Gunst der alten Spieler zurückgewinnen oder weiter den neuen imponieren? Will man vielleicht sogar der Modern Warfare-Reihe gegenüber eine zweite Identität erzeugen mit der hauseigenen Black Ops Marke? Obwohl Cold War letztendlich ein durchaus gelungenes Spiel geworden ist, scheitert dieser Balanceakt (wenn er überhaupt beabsichtigt gewesen war) und hinterlässt Fragezeichen für die Zukunft.
Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück
Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Cold War verabschiedet sich von dem langsameren und taktischeren Spiel von Modern Warfare und beschleunigt das Ganze wieder. Die Time-to-Kill ist ein bisschen höher, die Bewegungen schnell, das ganze Gameplay also reaktionsbasiert. Das führt dazu, dass genau jenes Oldschool Call of Duty-Gefühl aufzukommen vermag, wie es schon seit vielen Jahren erfolgreich gewesen war. Aber auch wie es schon seit vielen Jahren in dieser Schwebe der Nicht-Entwicklung gefangen war.
Cold War schafft es nicht zu vermeiden, sich oft wie ein Rückschritt zu seinem Vorgänger anzufühlen. Spuren davon lassen sich bis in jede Ecke des Produkts zurückverfolgen: Das Gameplay ist entschlackt und die Instrumente, die man als Spieler erhält, also Gadgets und auch Waffenerweiterungen sind wieder viel simpler, was aber wiederum bedeutet, dass die Möglichkeiten, die dem Spieler gegeben werden viel weniger an der Zahl sind.
Die Karten sind ebenfalls wieder näher an dem klassischeren 3-Wege-System dran, dass vielleicht auch ein grosser Faktor dabei war, dass die Karten der letzten Ableger sich so identitätslos und repetitiv angefühlt hatten. Natürlich spielen sie sich sehr viel flüssiger als die chaotischen, systemlosen Karten von Modern Warfare, was vermutlich hier auch das Ziel war, aber sie hinterlassen keinerlei Eindruck oder Identität. Dieses Problem besaß Modern Warfare ironischerweise auch schon, aber nur weil die Karten visuell nicht zu überzeugen vermochten, während sie dies strukturell aber taten. Cold War bietet wunderbare visuelle Ideen, die sich sehr schön aus dem ansonsten leider sehr unsichtbaren Kalten-Krieg-Setting ableiten, jedoch vermögen hier die Karten strukturell nur wenig bleibendes Spielgefühl zu vermitteln. Aber dennoch: vergleichsweise zu den Maps der vorherigen Ableger spielen sie sich wenigstens gut. Es geht hier also nicht um das Spielgefühl, welches meistens solide und flüssig ist, sondern um eine bleibende Erfahrung, die man früher immer so gut hat erreichen können.
Die Punkteserien sind auch zurück und bieten wohl die meiste Innovation darin, dass man seine Punkte nun nach einem Tod nicht mehr verliert. Aber auch hier wirkt dies wie ein Rückschritt. Punkte- oder Abschussserien sind schlichtweg kein gutes Designelement in Call of Duty und vor allem nicht, wenn sie so stark sind wie hier. Sie tragen nur zu einer sehr toxischen und elitären Gesamtsituation des Spiels bei, wo nicht das Gewinnen der Runde und nicht der einzelne Kill einen Wert hat, sondern nur die Höhe der Zahl, die der Spieler dann im Endbildschirm betrachtet. Erneut: während Modern Warfare mit seiner Intensität und seinem heftigen Spielgefühl (die Diskussion über das Thema Skill-Based-Match-Making wäre hier wohl angebracht aber dazu ließen sich ganze Aufsätze schreiben), aber auch seiner heruntergefahrenen Abschussserien, dafür sorgt, dass jeder einzelne Kill etwas zählt, verkommen die Abschüsse in Cold War mit den starken Abschussserien, den schnellen 3-Wege Karten und dem reaktionären Gameplay wieder zur Inflationsware. Der Spass am reinen Gameplay verliert an Wert und was nun wieder Hauptspassfaktor sein soll, ist der Vergleich von virtuellen Zahlen wie der KDA.
Der wohl offensichtlichste Bereich, wo der Rückschritt sehr deutlich wird, ist in der Präsentation. Cold War wirkt teilweise grafisch und in seinen Animationen wie eine Alpha von Modern Warfare. Dies ist höchstwahrscheinlich auf die Politur zurückzuführen, für die schlicht keine Zeit blieb, weil Entwickler Treyarch das Projekt sehr spät von Sledgehammer Games notfallmäßig übernehmen musste. Aber dennoch: Während in dem 2019er Teil jeder Sound, jede Bewegung und jede noch so kleine Schraube an der richtigen Stelle sitzt, ein so hohes Maß an Detailreichtum herrscht, dass selbst einfach die Waffen und Animationen zu betrachten ein Gefühl von Freude und Spaß auslöst, wirkt das hier sehr brach und unenthusiastisch. Auch gewisse Soundeffekte von bestimmten Waffen (MP5 bspw.) wirken seltsam verschoben und erreichen in keinster Weise den Grad an Befriedigung und Immersion, den noch Modern Warfare mit seiner Präsentation erreichen konnte.
Neonlichtblick: Kampagne
Wichtig ist es hier die Kampagne nochmals eigenständig zu erwähnen, denn Raven Software traut sich hier einiges. Die Geschichte von Black Ops Cold War, obwohl wie immer sehr unreflektiert und überladen mit Amerikanismus und teilweise peinlichem Pathos, ist dennoch eine schöne Hommage an viele verschiedene Filmthematiken der 70er und 80er Jahre. Hauptsächliche Inspirationsquelle scheinen hier die Roger Moore-Ableger der James Bond-Reihe gewesen zu sein, deren Klamauk und Witz entfernt und durch einen modernen trockenen Zynismus ersetzt wurde. Doch ebenfalls ist ein ordentlicher Schuss an Filmreferenzen wie von Apocalypse Now und sonstiger 80er Actionfilme à la Stirb Langsam dabei.
Auch spielmechanisch und narrativ hat sich hier Raven Software einiges überlegt und genau deshalb wirkt diese Kampagne durchdacht wie nur selten im Franchise. Es gibt eine große Verschwörung aufzuklären, wo man sich selber Hinweise zusammensuchen und kombinieren muss und dazu Nebenmissionen zur Unterstützung dieser Suche machen kann, Rätsel lösen muss und dabei die bekannt brachiale Inszenierung nicht zu kurz kommt. Die Geschichte ist simpel wie konventionell aber spielmechanisch toll präsentiert und inszeniert. Der Storymodus von Black Ops Cold War ist damit einer der besten der gesamten Reihe auch wenn er oft zu schnell und atemlos erzählt wird und leider letztendlich nicht genug zum Zuge kommt.
Die Zukunft ist ungewiss
Genau weil Modern Warfare so gut aus den ewigen Formeln der Marke ausbrechen konnte, fragt man sich nun wie die Zukunft von Call of Duty nach diesem sehr konservativen Ableger aussehen soll. Wechseln sich nun ein langsamer, taktischerer Teil mit fotorealistischer Präsentation und gewichtigerem Spielgefühl ab mit einem anderen Spiel, dass sich eher an Arcade orientiert, sich schneller spielt und auf den KDA-Vergleich setzt, sowie technisch unwertiger präsentiert ist? Wenn die Antwort auf diese Frage ein «Ja» sein sollte, dann kann Call of Duty sicher sehr davon profitieren, weil es nun endlich eine gewisse Abwechslung in den jährlichen Release hineinbringt. Jedoch bedeutet dies wahrscheinlich auch, dass ein Teil dem anderen stetig in Qualität nachhinkt und auch dies hinterlässt zuletzt einen bitteren Nachgeschmack.
Was vermutlich viel wahrscheinlicher ist, ist dass Activision eher auf seinen immens erfolgreichen Free-to-Play Battle-Royale Shooter Warzone setzt, und die Hauptableger der Reihe hauptsächlich dafür nutzt, diesen Modus weiter mit Abwechslung und Inhalten zu füttern. Denn worüber momentan bei Release viel mehr geredet wird, auch von Seiten Activisions, ist nicht das Hauptspiel Black Ops Cold War, sondern eher die neuen Inhalte, die damit für Warzone zugänglich werden sollen. Aber auch dies scheint für die Spieler, die eigentlich wirklich Gefallen an den Call of Duty-Spielen finden eine sehr unbefriedigende Aussicht.