Die Assassin’s Creed-Reihe leidet schon seit jeher an einem großen Achterbahnproblem. Während der erste Teil zwar für sich eher schwach war, legte er mit seiner Welt und den Grundlagen der Spielemechaniken das Fundament für eine der berühmtesten Spieleserien aller Zeiten. Assassin’s Creed II schlug ein wie eine Bombe und wird noch heute zu den besten Sequels aller Zeiten gezählt. Mit den folgenden Teilen der sogenannten Ezio-Trilogie Brotherhood und Revelation erhielt man jedoch bereits gemischte Rezeption. Dieser Abstieg in Beliebtheit und Qualität erhielt seinen Tiefpunkt mit Assassin’s Creed III, das von vielen heute noch als schlechtestes Spiel der Reihe beschrieben wird. Überraschenderweise folgte aber kurz darauf, im mittlerweile verabscheuten Ein-Jahres-Rhythmus, Assassin’s Creed IV Black Flag, das ebenfalls vom Großteil der Spieler, gegensätzlich zu seinem Vorgänger, als Höhepunkt der Reihe bezeichnet wird. Das folgende Assassin’s Creed Unity fiel jedoch, hauptsächlich aufgrund seiner technischen Probleme, sowohl bei den Kritikern, als auch bei den Fans erneut in den Keller. Assassin’s Creed Syndicate blieb daraufhin deshalb größtenteils unbeachtet, genießt heute jedoch eine überraschend hohe Nischenbeliebtheit. Trotz litt die Reihe mittlerweile schwer an enormer Übersättigung und die Spieler verloren das Interesse.
Ubisoft änderte seinen Veröffentlichungsmuster und nahm sich mehr Zeit für Assassin’s Creed Origins. Das Spielprinzip wurde von Grund auf neu geändert, es wurde mehr Fokus auf narrative Elemente und Erkundung gelegt, statt die Weltkarte einfach mit Collectibles vollzustopfen. Was daraus resultierte, ist eines der besten Comebacks einer Spielereihe überhaupt. Origins war ein tolles Open-World Spiel, mit der typischen Lockerheit und Inszenierungsgewalt von Assassin’s Creed, aber dazu mittlerweile Genre-definierenden Mechaniken von Spielen wie The Witcher 3 oder sogar The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Das Spiel blieb zwar immer noch in gewissen Bereichen qualitativ hinter diesen Marktriesen zurück, jedoch gab einen großen Hoffnungsschimmer für die Zukunft.
Es liegt nun an Assassin’s Creed Odyssey, das erneut nur ein Jahr später erscheint, die Spieler in dieser neuen Hoffnung zu bestätigen. Kann Odyssey nun vollends überzeugen und führt diesen qualitativen Aufwärtstrend von seinem Vorgänger weiter?
Weiße Sandstrände und unendliche Militärforts
Die Spielwelt des Vorgängers Origins steht im gesamten Medium Videospiel als eine der schönsten Spielewelten überhaupt. Was Odyssey angeht kann man dazu nur eines sagen: Es übertrifft sogar die Spielwelt seines Vorgängers, sowohl in äußerlicher Schönheit, als auch in spielerischer Qualität. Griechenland ist hier so wunderschön, unglaublich detailliert und abwechslungsreich, dass es einem oft den Atem verschlägt. Von den typisch weißen Sandstränden und Klippen Griechenlands, bis zu bergigen Waldgebieten und idyllischen Inseln findet man hier alles und das dazu noch in grafisch sehr hoher Qualität und massiver Größe. Eine Warnung sei hier aber gegeben: Griechenland ist hier so groß, dass man als Spieler regelmäßig am Rande der Überforderung kratzt. Die Frage, wie man bei aller Zeit der Welt, jeden Ort dieses Spieles erkunden soll, stellt sich öfters. Die Größe der Welt und ihr Detailgrad sorgt auch dafür, dass definitiv sichtbare Kompromisse in Weitsicht und Texturqualität eingegangen wurden. Verwaschene Texturen in mittlerer Distanz, gelegentliche kosmetische Bugs und Glitches, sowie clever platzierter Nebel zur Überdeckung von Weitsichtproblemen sind regelmäßig zu finden. Die Framerate hält sich aber meistens stabil.
Wie gewöhnlich für die Reihe, aber in diesem Teil besonders ausgeprägt, erhält man sowohl als Hobby-Historiker, als auch als gewöhnlicher Spieler eine wunderbare Verwebung von historischen Gegebenheiten, Mythen und Sagen, sowie Fiktion. Griechenland macht Sinn, ist quicklebendig und fühlt sich real an, ohne dabei langweilig zu sein und die Hintergrundgeschichten der Assassinen und Templer zu vergessen. Von den vielen verschiedenen Statuen und vermeintlichen Lebensorten von Gestalten altgriechischer Mythologie und Religion wie Herkules, Poseidon, Zeus und Apollo, über die unheimlich faszinierende Integration essenzieller historischer Figuren wie Perikles und Leonidas, liefert Odyssey hier, was diese Vermischung von Fiktion und geschichtlicher Wahrheit angeht, eine wahre Freude. Es erinnert an die Tage von Assassin’s Creed II, wo man plötzlich am Ende des Spiels merkte, dass man völlig unbewusst die Geschichte der Renaissance in Italien gelernt hatte, inklusive aller wichtigen Figuren, wie beispielsweise den Medici. Man kann hier sogar sagen, dass Odyssey was diesen Punkt angeht, seiner gesamten Reihe voransteht.
Auch spielerisch ist die Welt von Odyssey der gesamten Reihe voraus. Es vermischt eine vereinfachte Version der Schifffahrt von Black Flag mit den erkundungsfokussierten Elementen von Origins und dies auf meisterhafte Weise. Die Schiffahrt ist simpel aber spaßig und bietet einen schönen, ruhigen Kontrast zur Action und zum Parcours auf dem Land. Die Erkundung ist durch viele historische Orte, die nicht auf der Karte eingezeichnet sind, aber auch durch die vielen Fragezeichen auf der Karte, befriedigend, ohne die ohnehin schon riesige Welt zu stark zu füllen. Es wird hier eindeutig Wert gelegt auf die ruhigen Momente, bei denen man einfach innehält, um die sanften Strandkurven oder Marmorstatuen im Abendrot zu betrachten, aber auch auf die teils spektakulären Säuberungen von den sehr verschieden konstruierten Militarlagern und Gebäuden.
Diese Militärlager wären aber auch ein Kritikpunkt im Aufbau von Griechenland. Gelegentlich fühlt es sich doch so an, als ob das einzige was man stundenlang gemacht hat, die Räumung und Infiltrierung dieser Lager und Gebäude war. Und obwohl diese, wie bereits erwähnt, sehr abwechslungsreich designt sind, wird das Ganze doch, aufgrund der Übersättigung der Welt an diesen Lagern, repetitiv. Das sehr viele Sidequests und sogar auch Mainquests auf der „Arbeit“ an diesen Lagern basieren, trägt umso mehr zu diesem Problem bei.
Eine (fast) persönliche Odyssee
Das neue Dialogsystem und die weitere Vertiefung von Rollenspielelementen sorgen dafür, dass sich teilweise Odyssey überraschend persönlich und emotional anfühlt, auch wenn man Alexios oder Kassandra nicht wirklich komplett nach seinen Wünschen formen kann. Die Nebengeschichten überzeugen häufig, obwohl sie in ihren spielerischen Systemen immer wieder in Fetch-Quests enden. Dennoch wurde sich hier im Vergleich zu Vorgängern offensichtlich sehr viel mehr auf diese narrativen Elemente konzentriert. Die Nebengeschichten bieten oft interessante, einzigartige Figuren, die zwar in ihrer Tiefe eher einem Stück Karton gleichen, aber in ihrer Kurzweil zu überzeugen wissen. Viele Figuren hingegen, die länger vorkommen, wie zum Beispiel der berühmte Philosoph Sokrates, wirken etwas aufgesetzt. Hier merkt man doch, dass die Dialoge und Figuren auf lange Sicht versagen. Das gilt leider auch für die Figuren der Hauptquest.
Die Hauptgeschichte an sich ist erneut für Assassin’s Creed-Verhältnisse auf einem deutlich höheren Level. Es werden persönliche Motivationen und Ziele festgelegt, (vorerst) interessante Charaktere eingeführt. Odyssey gibt sich Mühe seine Geschichte emotional und dramatisch aufzuladen, unterstützt diese mit einem häufig großartigen Voice-Acting und Präsentation, was in sehr tolle Momente resultiert, die sogar die Tränendrüse des Spielers stimulieren oder eine Gänsehaut bereiten können. Das Problem der Geschichte liegt hauptsächlich in seinem Erzählfluss. Aus unerfindlichen Gründen verliert sich Odyssey immer wieder in unglaublich belanglosen Aufgaben und künstlichen Streckungen der Story. Dadurch geht auch ein Teil dieser dramatischen Aufladung verloren.
Dennoch gehört die Hauptgeschichte, aber auch die Nebengeschichten von Odyssey rein erzählerisch zu den besten der gesamten Reihe. Die Dialoge wirken zwar gelegentlich klobig und unnatürlich, selbst in seinem typisch theatralischen Stil, auch die Dramatik funktioniert manchmal wegen Problemen im Erzählfluss nicht so wie man das wohl beabsichtigte. Die Geschichten hier vermögen dennoch eine wunderbar stimmige Atmosphäre zu erzeugen und ergänzen die spektakuläre Welt von Odyssey beinahe perfekt.
Kleinere Updates im Kampfsystem
Was das sonstige Gameplay angeht, macht Odyssey keine großen Änderungen. Das ohnehin schon simple Kampfsystem wurde etwas befriedigender gestaltet und noch mehr vereinfacht, indem verschiedene Fähigkeiten nun von Anfang an verfügbar sind und interessantere freigeschaltet werden können, als noch bei Origins. Das Kampfsystem macht hier etwas mehr Freude als beim direkten Vorgänger, ist aber auch eher zweckmäßig und nicht wirklich spannend.
Genauso fühlt sich der Schiffskampf eher belanglos und repetitiv an. Er bietet keine große Herausforderung in seiner Mechanik wie noch damals bei Black Flag, weshalb man die Kämpfe eher so schnell wie möglich abarbeiten möchte, als sie wirklich zu suchen und zu genießen. Die Erkundung mit dem Schiff ist echt toll, der Kampf jedoch eher schwach.
Dazu gehört ebenfalls die gesamte Eroberungsmechanik, bei der der Spieler zwischen Sparta und Athen auswählen kann und ein Gebiet für eine dieser Fraktionen erobern kann. Die Eroberungsschlachten, die man nach genügender Schwächung eines Gebietes freischalten sind sehr antiklimaktisch gestaltet, die Eroberung eines Gebietes selbst wird etwas seltsam und unpassend im gesamten Kontext des Spiels. Natürlich spielt Odyssey im Peloponnesischen Krieg zwischen Sparta und Athen und dort passt das System auch, aber in der reinen Story wirkt diese Eroberungsmechanik deplatziert und vor allem unspektakulär. Hier wurde doch einiges an Potenzial verschenkt.