Als Warhorse Studios im Jahre 2014 die Kickstarter-Kampagne für ein Spiel namens Kingdom Come: Deliverance ankündigte, als Trotz gegen all die Sponsoren, von denen sie zuvor abgelehnt worden sind, trafen sie damals bereits einen wunden Punkt in der Branche und den Fans des Rollenspiels. Sie versprachen ein höchst realitätsorientiertes Rollenspiel, dass tiefe Spielmechaniken und eine spannende Geschichte bieten soll, verpackt in historisch möglichst akkurate Begebenheiten und Umstände.
Das Rollenspiel ist ein Genre, dass heutzutage schwierig zu fassen ist. Niemand heutzutage scheint recht zu wissen mit welchen Begriffen und Definitionen dieses genau eingefasst werden soll, zu gross ist die Vermischung mit anderen Genres, wie beispielsweise Action-Adventures geworden. Manche finden für sich Rollenspiele sollen stark verästelte Dialog- und Questsysteme bieten, bei der dem Spieler höchster Einfluss zugesprochen wird. Andere wiederum verbinden schlicht freie Charakterbaumöglichkeiten, wie Fähigkeitenbäume und viele verschiedene Kampfmechaniken mit dem Stichwort «Rollenspiel». Es gibt sogar gelegentlich Menschen, denen schlicht offene Spielwelten oder Levelsysteme genügen, um das Spiel in dieses Genre einzustufen.
Kingdom Come: Deliverance ist die Art Spiel, die ganz eindeutig von jeder dieser verschiedenen Gruppen als reines und grosses Rollenspiel bezeichnet werden wird. Das Spiel von Warhorse Studios erfüllt alles was ein Rollenspiel anzubieten hat, manches besser, manches eher auf mässige Weise.
Klassische Erzählstrukturen
Die Hauptgeschichte von Kingdom Come: Deliverance schafft den Spagat von interessanter Hauptquest, die gleichauf von spannenden Nebenquests begleitet wird. Die Hauptquest folgt dabei vor allem klassischeren Erzählstrukturen und zeigt eine ewig bekannte Heldenreise mit einer coming-of-age Story eines anfangs sehr naiven und träumerischen Protagonisten auf. Das ist zwar in höchsten Massen voraussehbar, aber gar nicht so schlecht wie es sich anhört, denn hier bestattet Kingdom Come diese klassische Geschichte mit sehr sympathischen Charakteren. Es gibt niemanden, der nervt oder den man wirklich hasst. Das Spiel zeigt hier ein sehr schön entschleunigtes Schema auf, was sich auch im Gameplay wiederspiegelt. Die Charaktere sind zwar nicht ungemein tief und facettenreich, jedoch möchte dies Kingdom Come auch überhaupt nicht bezwecken. Meistens geht es nicht darum eine eingegraute Welt mit vielen verschiedenen Moralvorstellungen und Perspektiven von Gut und Böse zu zeigen, sondern schlicht Menschen, die einfach ihr Leben so problemlos wie möglich geniessen möchten. Kingdom Come schafft dies aber ohne gross an Authentizität dieser vermeintlich «authentischen» Spielwelt und Geschichte einbüssen zu müssen. Somit bietet das Spiel in seiner Geschichte eine genauso starke Möglichkeit für Realitätsflucht an, wie in seinem ganzen restlichen Gameplay. Dazu aber weiter unten mehr.
Die Inszenierung leidet hier leider aber ein wenig an den technischen und kreativen Problemen des Spiels. Was die Geschichte angeht sind ziemlich viele Bugs in den Dialogszenen, wie verschoben aufgestellte Figuren oder eine Kamera, die im nahen Schrank hängt. Ausserdem sind zu den sehr hölzernen Gesichtern, teilweise seltsame oder überraschend kitschige Dialoge vorhanden, die ausserdem an manchen Stellen, an den teils schwach gespielten Vertonungen im englischen Original leiden. Die deutsche Synchronisation ist tatsächlich stimmiger, allein schon weil Böhmen mit Personen- und Ortschaftsnamen gefüllt ist, die einen nahen Zugang in die deutsche Sprache gefunden haben, weil sie sich halt tatsächlich in der Realität in der Nähe oder teilweise sogar auf dem heutigen deutschen Gebiet befanden.
Das Gold liegt hier aber wie so oft in den Nebenaufträgen, die teilweise herrlich abgefahren sein können oder mit tollen kleineren Moralfragen, den Spieler in ein Dilemma bringen ohne aber gross die Standpauke und Moraltrommel zu rühren. Es wird dabei auch hier eher weniger auf wirklich traurigere Stimmung gesetzt und das durchweg positive Spielgefühl aufrechterhalten. Lobenswert ist bei den Nebenquests auch, dass die Inszenierungsqualität kaum abfällt; es gibt auch hier tolle Zwischensequenzen und schöne Geschichtchen zu entdecken.
Immersion ist das Stichwort
Kingdom Come: Deliverance ist, wie vorhin bereits angedeutet ein äusserst entschleunigtes Spiel. Das Spiel nimmt sich bereits zu Beginn äusserst viel Zeit und lässt die Startcredits erst nach ungefähr vier Stunden Spielzeit laufen. Selbst darüber hinaus folgen immer wieder Tutorials zu Kernelementen, die man aber erst dann entdeckt. Diese langsame Geschwindigkeit ist aber tatsächlich etwas sehr Besonderes und Schönes an Kingdom Come, was man heutzutage in grossen Massenmarkt-Produktionen eher selten findet. Kingdom Come scheint sich selten wirklich Gedanken zu machen, ob der Spieler jetzt tatsächlich eine Stunde lang durch einen Wald schlendert ohne wirklich etwas zu erreichen, sondern möchte ihm einfach dabei eine gemütliche und schöne Erfahrung bieten. Dementsprechend sind oft auch Questmarker sehr vage gesetzt und Eigeninitiative und Erkundung ist nötig. Quest erfordern eigenes Denken und Kreativität, welche aber hervorragend belohnt wird. Die Quests sind dabei ultimativ offen zu lösen, genau wie man das möchte.
Der langsame Spielfluss schadet dem Spiel aber sehr wenig, da die Welt von Böhmen hervorragend konzipiert ist. Natürlich sieht sie im reinen Designaspekt atemberaubend aus, allein da Kingdom Come eine der wenigen Spiele ist, die sich als Vorlage europäische Wälder und Landschaften genommen haben. Als jemand der in Mitteleuropa aufgewachsen ist, erkennt man die kräftigen Hügel und saftigen grünen Wiesen, durchzogen von sanften Bächen und Trampelpfaden sofort, und fühlt sich seltsam heimisch, wie in keinem Spiel zuvor. Aber auch fern davon ist die Spielwelt so organisch und dynamisch, dass die Immersion auf einen Höchstgrad schiesst. Alle Menschen, egal ob Händler, Stadtwache oder Pfarrer hat seinen eigenen Tagesablauf und geht diesem nach, Quests warten nicht auf den Spieler, sondern laufen im schlimmsten Fall einfach ohne ihn ab. Die Bevölkerung reagiert auf dein Aussehen, ob dreckig oder sauber, ob in Plattenrüstung oder Stoffgewändern. Kingdom Come fühlt sich hier mehr manchmal wie eine Lebenssimulation und das ist doch die ultimative Form eines Rollenspiels.
Dazu sind die vielen, tiefgreifenden Spielmechaniken höchster unterstützender Natur und sorgen dafür, dass man sich in diese Spielwelt genauso einfügen kann, wie man das möchte. Ist man eher ein muskelbepackter Schmiedesohn, stark in den vielen Kräftemessen, aber hat bei der Geburt nicht das intelligente Chromosom abbekommen? Oder wandert man eher als pazifistische Silberzunge durch die Lande, der beim Anblick von Stahl das Weite ergreift? Alles ist hier möglich mit diesen hervorragenden Systemen und das Spiel bevorzugt dabei auch nicht wirklich eine Spielweise.
Das Kampfsystem gilt es noch speziell zu erwähnen. Dieses funktioniert nämlich meistens herrlich gut und ist wohl eines der interessantesten Kampfsysteme der letzten Jahre. Die vielen Kombomöglichkeiten im Kampf selbst, aber auch durch verschiedene Waffen mit oder ohne Schild, und leichter oder schwerer Rüstung ermöglichen eine höchst befriedigenden und spannende Erkundung von Kampfstylen, die dazu noch dem Mittelalter angemessen authentisch wirken.
Erwähnenswert ist hier besonders auch das HUD, welches sich in toller Skyrim-Manier nur auf einen Kompass am oberen Ende des Bildschirmes und eine Lebens- und Ausdaueranzeige beschränkt. Dies sorgt dafür, dass der Blick des Spielers immer auf dem Spiel selbst und seiner wunderschönen Welt liegt und nicht an einer Minimap oder Steuerungshinweisen an den Bildschirmrändern hängt. Erneut ein grosser Anschub dafür sich stundenlang hilflos in dieser Spielwelt zu verlieren.
Technisches Debakel
Diese grandios dichte Atmosphäre in Kingdom Come leidet aber schrecklich unter seiner technischen Umsetzung. Die PC-Version, aber vor allem die PS4-Version findet sich in einem Meer von verspäteten Pop-ups oder nicht fertig geladenen Texturen wieder. Die Weitsicht auf der PS4 nimmt vor allem zu Beginn der schönen Stimmung die Freude. Das teilweise pixelige und unscharfe Aussehen der Spielwelt wird nur mit seinem tollen Design kompensiert. Es gibt seltener auch Quests, die verbuggt sind und nicht abgeschlossen oder sogar angetreten werden können. Nach einer Gewöhnungszeit stören diese technischen Probleme eher weniger, da dann die Immersion den Spieler endgültig eingesaugt hat, was aber nichts daran ändert, dass sie eigentlich in diesem Masse auf lange Zeit nicht geduldet werden können.
Man merkt, dass hier technisch schlicht zu hohe Ambitionen mit einem zu kleinen Budget und zu wenig Entwicklererfahrung bestehen. Die Spielmechaniken inmitten dieser technischen Probleme lassen dennoch den Wunsch auf ein Sequel mit besserer Technik und Umsetzung erblühen.