Mit Persona 5 liefert uns Atlus ein Spiel, welches eigentlich in dieser Form schwer zu fertigen sein sollte. Realitätsflucht ist wohl eines der wichtigsten Elemente von Videospielen allgemein, vor allem von Rollenspielen. Wir spielen Spiele, um unserer dunklen und ernsten Realität zu entfliehen. Wir wollen uns entziehen in eine schöne oder böse Welt, weg von den Problemen unserer Zeit. Diese Realitätsflucht wird erreicht, indem man den Spieler in eine fremde, in sich stimmige Welt entführt und tiefgehenden Charakteren vorstellt, die positive oder negative Gefühle beim Spieler erregen. Grösstmögliche Freiheit und Konsequenzen tragen ebenfalls enorm zur Immersion bei.
Nach dieser Definition, dürfte Persona 5 eigentlich gar nicht funktionieren. Das Spiel spielt im heutigen Tokyo, greift häufig alltägliche Probleme auf und fordert den Spieler sogar noch dazu auf, genau das zu tun, was er in der Realität schon tut. Ein normales Leben zu führen, Freundschaften zu betreiben, zur Schule zu gehen und bei all dem, sich auch mit den damit mitkommenden Problemen auseinanderzusetzen. Das ist keine Realitätsflucht, sondern schlicht eine gleiche alternative Realität. Aber genau deshalb gehört Persona 5 zum Besten, was das Rollenspielgenre zu bieten hat.
Episodische Geschichte, die erst zum Ende anzieht
Die Geschichte von Persona 5 steigt schnell ein mit einer Fluchtsequenz und wirft den Spieler ins kalte Wasser. Dieser Anfang dient sozusagen als direktes Foreshadowing, denn die Geschichte von Persona 5 versucht hauptsächlich die Ereignisse, welche zu dieser Anfangsszene führen, aufzuzeigen. Die Geschichte gleicht quasi einem Produkt, von der wir nur die vage Endform wissen und deren Hintergründe uns im Verlaufe des Spiels Punkt für Punkt ergänzt werden, bis man schliesslich die gesamte Endsituation hat. Eine innovative Struktur der Erzählweise, die immer wieder Freude bereitet, wenn gewisse Wurzeln von Elementen, die in der Anfangsszene vorkamen, während des Spielens klar werden. Die Anfangsszene gewinnt dadurch im Verlauf der Geschichte immer mehr an Gewicht und Spannung, Plot Twists verlaufen organisch und sind nicht aufgedrängt oder überinszeniert.
Mit diesem Überplot, der in der Anfangssequenz begonnen wird, beschäftigt sich Persona 5 aber bis knapp vor Ende nur sehr spärlich. Die eigentliche Geschichte versteckt sich in den einzelnen, episodischen Handlungsbogen. Diese erzählen alle eine eigene, abgeschlossene Geschichte, in denen es meist einen Antagonisten gibt, den es zu besiegen gilt. Die Story von Persona 5 besteht hauptsächlich aus diesen in sich geschlossenen Handlungssträngen. Diese funktionieren aber ebenfalls gut. Sie beschäftigen sich mit überraschend deftigen Themen, wie sexuellem Missbrauch an Schulen oder Kindermissbrauch von Adoptiveltern, welche sie auch in stimmiger Weise behandeln. Es wirkt nie zu drastisch, aber auch nicht unseriös. Der richtige Grad an Ernsthaftigkeit wird behalten, auch wenn das Spiel eine eher lockere Stimmung verfolgt. Die Antagonisten können teilweise ein wenig klischeebelastet wirken, haben aber trotzdem verständliche und tiefgehende Motivationen und Hintergründe. Es scheint Atlus sehr wichtig gewesen zu sein, die Antagonisten nicht nur ins Spiel zu stellen damit unsere Helden etwas zu tun haben, sondern sie haben alle ihre eigenen kleinen Geschichten. Persona 5 will uns sagen, dass simples „Böse sein“ nicht in der Natur eines Menschen liegt, sondern immer irgendwoher führt.
Die Entscheidung die Geschichte in grösstenteils getrennte Handlungsbogen aufzuteilen, hat einen Nachteil: Der Spieler kann den Anschluss an die Hauptgeschichte verlieren, welche am Anfang begonnen wird, oder noch schlimmer, die einzelnen Handlungsbogen selbst könnten als irrelevant betrachtet werden, weil sie wenig mit der Hauptgeschichte zu tun haben. Persona 5 will seinen Fokus auf die Geschichten in den Handlungsbogen legen, verliert dabei aber manchmal die Hauptgeschichte zu lange aus den Augen. Die Hauptgeschichte, wird erst zum Ende hin richtig wiederaufgegriffen und in rasantem Tempo zu Ende geführt.
Es gibt noch eine weitere Metaebene an Geschichten in Persona 5. Alle Charaktere können eine Beziehung zum Protagonisten aufbauen und sind sogenannte „Confidants“. Der Spieler muss Zeit mit diesen Leuten verbringen und dadurch seine Beziehung mit ihnen vertiefen, um beispielsweise Vorteile bei den Kämpfen zu erhalten. Bei dieser Vertiefung erfährt der Spieler bei jedem einzelnen Charakter eine kleine Geschichte, welche sie zusammen erleben. Diese Geschichten funktionieren hervorragend, auch wenn sie nicht in dem Masse inszeniert sind, wie die Hauptgeschichte und die einzelnen Handlungsbogen. Jede Charaktergeschichte gibt den Figuren Hintergrund und Tiefe, aber auch ebenfalls tolle Entwicklung. Diese spiegelt sich zwar in keiner Weise im Gameplay nieder, führen jedoch zu leicht veränderten Dialogen, welche dem Spieler beim Lesen ein Lächeln auf das Gesicht zaubern und eine dynamische Geschichte erzeugen.
Allgemein sind die Charaktere sowieso das Highlight von Persona 5. Sie sind zwar teilweise mit heftigen Klischees behaftet, aber dennoch sympathisch und im Spiel einzigartig. Jede Figur ist anders, für jede Figur gibt es andere Gründe sie zu mögen. Durch die lange Spielzeit von Persona 5 von mindestens 80 Stunden und den vielen verschiedenen Abenteuern, welche durch die aufgesplitteten Geschichten ermöglicht wird, baut der Spieler eine starke Verbindung zu den Charakteren auf. Man verbringt viel Zeit mit ihnen und erzeugt eine tolle Verbindung, die am Ende nur schweren Herzens zu verabschieden ist.
Gameplaymechaniken sind vielschichtig, nur in manchen Teilen überstrapaziert
Das Gameplay von Persona 5 ist divers und besitzt so viele Elemente, die man alle gar nicht aufzählen könnte. Die rundenbasierten Kämpfe sind spannend, toll inszeniert und werden selbst nach 90 Stunden nicht langweilig. Jeder Charakter ist im Kampf einzigartig, die Gegner visuell hervorragend designt. Die Bosskämpfe wagen sich ebenfalls hohe Schwierigkeitsgrade anzunehmen, was den Kämpfen eine nochmals tiefere strategische Ebene verleiht. Das Sammeln der Personas macht manchmal echt süchtig und erinnert leicht an das Fangen und Sammeln der Pokémon-Spiele.
Die Dungeons sind alle einzigartig, sowohl in Aufbau als auch visuell. Hier wurde viel Mühe in Struktur und Aussehen der Dungeons investiert. Sie sind auch alle toll zu spielen, nur manchmal geht man mit einem neu eingeführten Gameplayelement in den jeweiligen Dungeons zu weit. Deren Benutzung wird gelegentlich überstrapaziert, was zu gelangweilten Gähnen oder Seufzen beim Spieler führen kann, vor allem auch, weil die Rätsel in den Dungeons nie wirklich schwer sind. Man verbringt in jedem Dungeon 2-3 Stunden, was normalerweise kein Problem ist, jedoch gibt es vor allem einen Dungeon, der sich unnötig lange streckt mit den ewiggleichen Mechaniken und Rätseln.
Der goldene Kern von Persona 5 ist aber „das normale Leben“. Noch nie hat eine tägliche Routine so viel Spass gemacht. In die Schule gehen, neue Charaktere kennenlernen, Zeit mit seinen Freunden verbringen, aber gleichzeitig Prüfungsstress haben, das alles ist viel toller als es sich anhört. Dies ist Realitätsflucht in seiner schönsten Form. Sie ist einerseits so realitätsnah, dass man sich enorm schnell darin verliert und sich mit ihr identifizieren kann, andererseits aber auch fiktiv genug, um schön zu sein und Abenteuer zu bieten. Die Spielwelt gehört ebenso dazu. Tokyo ist unheimlich realistisch, macht Spass zu erkunden und ist gespickt mit tollen kleinen Figuren, die zur Immersion beitragen. Man muss aber zugeben, dass vieles in Tokyo nur Kulisse ist. Wirkliches Gameplay, ausserhalb von Abhängen mit seinen Freunden und Ressourcen für die Kämpfe kaufen, gibt es hier nicht.
Allgemein muss man noch unbedingt betonen, dass Persona 5 ein Spiel für ausdauernde Spieler ist. Es gibt viele Textboxen zu lesen, die Dungeons können sich grindy und repetitiv anfühlen. Es ist nicht wirklich ein Spiel, welches man für eine eine halbe bis eine Stunde kurz anspielt. Allein die Speicherpunkte können manchmal bis zu Stunden voneinander wegliegen, von dem Suchtfaktor des Spiels mal abgesehen.
Ausserdem besteht die Gefahr, dass man komplett den Anschluss an Geschichte, Charaktere und Gameplay verliert, wenn man sich eine längere Pause von Persona 5 nimmt. Grund dafür ist der immense Inhalt dieses Spiels in all diesen Bereichen.
Veraltete Grafik, dafür tolle Präsentation und Art-Style
Bei technischer Betrachtung muss Persona 5 für seinen riesigen Inhalt, heftig an Grafik einbüssen. Die Texturen und Animationen befinden sich häufig im Playstation 2 Bereich. Die Zwischensequenzen im Anime-Stil sind hervorragend, jedoch viel zu selten eingesetzt. Gesichtsausdrücke und Emotionen werden nur durch die kleinen Kopfbilder am Textboxrand und durch grossartiges Voice acting (in japanisch) herübergebracht. Die Figuren im Spiel sind steif und haben wenige verschiedene Animationen.
Dennoch würde man Persona 5 nicht als schlecht aussehendes Spiel bezeichnen. Dies liegt vor allem am grandiosen Art-Style des Spiels. Wenn man ein Spiel mit den Adjektiven „stilvoll“ und „ästhetisch“ bezeichnen würde, wäre das mit Sicherheit dieses. Alles, von Pausebildschirm, über Figuren, bis Orte in der Spielwelt, ist bis in die Spitzen durchdesignt und versprüht brillanten Charme. Die Entwickler wissen, dass sie grafisch nicht zeitgemäss sind, verstecken dies jedoch hinter ihrem grandiosen Stil und ihrer Detailverliebtheit.
Die Musik gehört hier ebenfalls dazu. Sie ist einzigartig und wirkt in Stil und Genre perfekt auf das Spiel massgeschneidert. Sie groovt locker und auf Augenhöhe mit dem Spiel mit, oder klimpert bedächtig im Hintergrund, wenn es mal traurig wird. Allein die epischeren, aufregenderen Tracks fallen dabei ein wenig ab.