Jedes Jahr versucht sich ein Medienkonglomerat, das am besten auch noch eine Handvoll an Lizenzen ikonischer, süßer und taffer Maskottchen parat hat, an einem Titel im Subgenre der Kart-Racer, um in möglichst vielen Bilderbuchwohnzimmern über die Bildschirme zu flackern. Die Zielgruppe ist klar: Kinder, Familien und eben auch Fans von Disney, die mit ihren Lieblingscharakteren durch bekannte Ortschaften rasen, und vielleicht auch den ein oder anderen nostalgischen Rausch mitnehmen möchten. Mickey, Elsa, Jack Sparrow, Woody und viele andere aus Disneys Spielzeugtruhe bieten für wirklich jeden etwas; Disney besitzt so viele IPs, dass es kaum jemanden gibt, der kein Fan von einem der zahlreichen Filme oder Serien ist. Man könnte meinen, ein Unternehmen wie Disney könnte es sich leisten, einen solchen kurzweiligen Spaß als bezahlten Premium-Titel auf den Markt zu bringen, mit vielleicht etwaigen DLC-Erweiterungen, die im Laufe nach dem Launch die Inhalte des Spiels schmücken. Dreamworks, Nickelodeon und zahlreiche andere haben genau dieses Modell angestrebt und umgesetzt. Trotz des unvermeidlichen Erfolgs umgeht Disney diese Prozedur und veröffentlicht das Spiel als Free-to-Play, Games-as-a-Service Produkt, welches sich ganz weit von Verbraucherfreundlichkeit entfernt, und an jeder Ecke Monetarisierung erzwingt. Was sich als Titel für die Konsolen verkleidet, ist in Wahrheit ein dekorierter Mobile Titel, der ein solides Produkt in die Banalität der Mittelmäßigkeit herunterzieht.
Die Maus in der Maschine
In der sogenannten “The Game Loft Arcade”, wo Clips aus den altbekannten Disney Animationsklassikern die Bildschirme belegen, scheint es gehörig zu spuken. Zwar nicht auf die boshafte und physische, “Paranormal Activity”-Art und Weise, sondern auf eine familienfreundliche und digitale Art. Die Intelligenz, die sich in der Maschine verkrochen hat? Eine putzige und ausdrucksstarke KI namens Arbee, die inmitten der Spielhalle einen zentralen Arcade-Automaten übernimmt, und in ihn die ganze Energie der Arcade einströmen lässt. Somit werden die Disney-Charaktere aus ihren jeweiligen Welten und Filmen in das neue Kartgeflecht, das sich auch im Universum des Spiels “Disney Speedstorm” nennt, entführt. Als Spieler von Disney Speedstorm wird man von Arbee metaphorisch an der Hand gepackt, und durch die verschiedenen Universen geführt, in denen Arbee als Helfer im Stil von Navi sicherstellt, dass man bloß nichts falsch macht. Eingeleitet wird die Reise in den Speedstorm durch eine explosive Eröffnungssequenz, die den Ton des gesamten Spiels setzt: Micky, Mulan, Jack Sparrow und Sully bieten sich ein hitziges Kopf-an-Kopf-Rennen durch die Monster AG, eine Schlacht zwischen zwei imposanten Piratenschiffen inmitten eines Monsuns aus “Der Fluch der Karibik” und mehr, während sie sich um Hals und Kragen gegenseitig versuchen auszuschalten und dabei die Umgebung nutzen, um sich „Erster“ küren zu können. Disney-Charaktere in Rennausstattung, die ikonischen Ortschaften aus nostalgischen Klassikern als Pisten und Rivalitäten zwischen Charakteren, die man sich nicht einmal hätte ausmalen können – also alles, was ein solches Crossover sein sollte.
Angekommen im eigenen Kart, mit bekanntem Rennfahrer in petto, geht es also ab auf die Piste. Disney und GameLoft Barcelona als Entwickler erfinden das Rad hierbei definitiv nicht neu: mit dem gewohnten Countdown beginnt jedes Rennen, und, wer vorher schon an Cups im Pilzkönigreich teilgenommen hat, weiß ganz genau, dass man, nachdem die zwei gezählt wurde, mit allem, was das Zeug hält, aufs Gas drückt. Das Fahren ist so intuitiv wie es nur sein kann: mit den Schultertasten wird beschleunigt und gebremst, mit den anderen Tasten Gegenstände auf die Rivalen geworfen und geboostet. Was ein allerdings einzigartiges Feature ist, ist das Rammen, dass man mit dem rechten Stick des Controllers ausführt. Anders als in zeitgenössischen Titeln wird die direkte Konfrontation mit den Gegnern nicht nur durch den Einsatz von Gegenständen ausgetragen. Ist ein Fahrer vor oder neben dem eigenen Fahrzeug, kann man ihn mit ein paar gezielten Stoßen von der Strecke befördern, und so wortwörtlich einen Rivalen nach dem anderen von der Strecke zwingen. Natürlich werden die Fahrer wieder auf die Strecke gesetzt, doch so kann man sich, auch ohne Items, seinen Weg an die Spitze bahnen, mit einem Feature, dass das Rennen deutlich aktiver werden lässt, und dem Spiel somit seinen ganz eigenen Charakter verleiht.
Nachdem man seine Gegner aus dem Weg geräumt hat, muss man sich auch folgend genug Geschwindigkeit aufbauen, um sich den ersten Platz zu schnappen. Neben dem integrierten Boost, der sich nach jeder Nutzung relativ schnell wieder auflädt, gibt es auch den Genre-üblichen Drift, der natürlich nicht fehlen darf. Kenner des Genres werden es wissen: In jeder Kurve wird die Handbremse gezogen, um so möglichst glatt voranzukommen und nebenbei einen Geschwindigkeitsboost aufzubauen. Dem Drift wird hierbei nur eine Stufe geschenkt, was die Luft aus der Mechanik herausnimmt, da der Boost schnell erreicht wird, und man in keine Situation gerät, wo man auf die Probe gestellt wird, ob man das Risiko eines extremen Drift auf sich nimmt und einen massiven Schub mitnimmt, oder man mit dem einstufigen Drift die sichere Route einschlägt. Bei dem Tempo der Rennen ist das allerdings kein Wunder, da es sich so anfühlt, als wären die Motoren der Rennwagen auf 50 PS heruntergeschraubt, was besonders nach ein paar Stunden mit dem Spiel bemerkbar wird. Wo andere Titel wie “Mario Kart 8 Deluxe” mehrere Schwierigkeits- und Geschwindigkeitsgrade in Form von CC-Einstellung geben, fehlt dies völlig in Disney Speedstorm, in jeglicher Form. Auf Langzeit macht es die Rennen äußerst öde, da man auf einer recht langsamen Geschwindigkeit gefangen ist, man sich nur mäßig auf den bereits recht ereignislosen Strecken von A nach B bewegt und somit immer weiß, dass nichts Gefährliches um die Ecke lauert.
Disney Land für zu Hause
Ein ordentliches Disney Crossover sollte sich anfühlen, als hätte man ein Ticket für das Disney Land gewonnen – was GameLoft mit der Inszenierung der einzelnen Rennstrecken und der Charakterisierung der Disney-Legenden vollends gelungen ist. Speedstorm bietet eine große Riege an Disney-Figuren, aus den verschiedensten Epochen, Franchises und Gebieten des Riesenunternehmens, selbst die alten Urgesteine wie die Steamboat-Truppe und Oswald dürfen hier mitmischen. Einerseits sind die Klassiker mit Mickey, Donald und Goofy vertreten, über die sich wohl keiner beschweren würde. Andererseits greift Speedstorm auch zu Pixar und Disney Channel Charakteren, wie Wall-E, der Toy Story-Bande oder Lilo und Stitch. Die Charaktere sind aber nicht nur bloße Hüllen, ihre Animationen spiegeln ihr Verhalten perfekt wider. Als Hitzkopf pöbelt Donald gerne mal gegen seiner Gegner und lacht jene aus, wenn ein getroffener Gegenstand sie von der Bahn bringt, während der liebliche Roboter Wall-E sich in seinem Fahrzeug bei hohen Geschwindigkeiten ängstlich zusammenkauert. Auch die fahrenden Gefährten der Figuren sind oftmals um die Figur und dessen Welt herum thematisiert, wie zum Beispiel Wall-E, der mit einem verrosteten, heruntergekommenen Auto von der Erde an die Startlinie rollt. Es sind kleine, aber eindrucksvolle Details wie diese, die die Charaktere zum Leben erwecken.
Neben den Charakteren in vollständiger Rennfahrermontur, sind natürlich auch die Ortschaften am wichtigsten, die den Fahrern als Rennstrecken dienen, und GameLoft Barcelona hat sich dabei ordentlich austoben können. Disney hat nicht nur einen enormen Katalog an Charakteren, die sich für ein Rennspektakel eignen würden, viel mehr ist es die schiere Bandbreite an Orten, die hier eingebaut werden könnten, die sich wahrscheinlich als doppelt so ausgiebig entpuppt. Leider darf man sich, stand Januar 2024, auf gerade mal nur dreizehn Strecken ausprobieren, was in Anbetracht der Qualität dessen schade ist. Wie das Opening bereits suggerierte, gibt es eine Strecke, die direkt durch einen mittelalterlichen Markt, gefolgt von einer epischen Schlacht zweier Piraten Segelschiffe, führt, wo man gerade nur so zwischen dem Kanonenfeuer hinweg flitzt. Auch eine nette Rundfahrt durch die Monster AG und den güldenen Olymp der Götter sind mit dabei, somit ist jeder Fan, ob Disney oder Pixar, wohl bedient. Speedstorm schafft es allerdings am meisten zu glänzen, wenn es abstrakte Ideen nimmt, und diese in eine denkwürdige Strecke verwandelt. Hier fällt zum Beispiel der „Silver Screen“ auf, eine Strecke, die während der Kinovorstellung des allerersten Disney Cartoons, Steamboat Willy, startet, und den Spieler durch den Bildschirm in die schwarz-weiße Welt hindurch entführt. Tatsächlich spielt eine Strecke auch direkt auf dem Gelände des Disney World-Parks. Das Team hinter dem Spiel greift also verschiedene Welten und Themen auf, und poliert diese in Strecken auf, die sich auf jeden Fall sehen lassen können, auch wenn einige von ihnen bezüglich auf die Schwierigkeit nichts außerordentlich interessantes versuchen, und oft an die leeren Strecken von Mario Kart Tour erinnern.
Demonstriert wird ein hohes Maß an Mühe, die Seelen der einzelnen Universen liebevoll in ein solches Crossover zu adaptieren, doch anstatt aus den anderen Universen Disneys zu ziehen, sind die Gegenstände relativ generisch und haben eine sehr virtuelle Erscheinung, die der künstlichen Intelligenz Arbee ähnelt. Items tun in Speedstorm auch genau das, was man auf Anhieb erwarten würde. Feurig rote Flammen dienen als Angriffsgegenstände, die den Gegnern schaden, während das grüne Schild zur eigenen Defensive dient und der blaue Boost das Gummi brennen lässt. Jeder einzelne Charakter profitiert von seinem eigenen, exklusiven Item, das oftmals sehr stark ist, was bei dem Modell, das Disney Speedstorm praktiziert, aber wohl kein Wunder sein sollte. Die Farbkodierung lässt hier sofort darauf schließen, um welchen Gegenstand es sich handelt, was die Konzentration auf das Geschehen auf der Strecke richtet. Dabei verliert allerdings der Kernaspekt der Persönlichkeit eines solchen Kart Racers an potenziellem Charakter, was im Großen und Ganzen heraussticht, da GameLoft Barcelona sonst fast nahtlos die Welten, Figuren und Ortschaften in das Crossover eingebunden hat.
Da Kinder und Familien die eigentliche Zielgruppe des Spiels sind, ist es kein Wunder, dass es den Gameplay-Mechaniken hier an jeglicher Tiefe oder Schwierigkeit, die es zu meistern gilt, fehlt. Das Gameplay ist sehr eintönig gehalten, die Strecken haben keine allzu verrückten Abzweigungen oder Hindernisse, an denen man verzweifeln könnte, selbst von der Strecke herunterfallen ist nahezu unmöglich in Disneys Speedstorm. Es ergibt Sinn, einen solchen Titel für die angepeilte Zielgruppe simpel zu halten, um eine möglichst angenehme und spaßige Erfahrung für alle Involvierten zu schaffen, doch Titel wie „Mario Kart 8 Deluxe“, welcher sich mit nun mehr als 58 Millionen verkauften Einheiten auf seinen wohlverdienten Lorbeeren ausruht, schaffen es, einsteigerfreundliches Gameplay zu kreieren, und dabei Tiefe für jene anzubieten, die sich tiefer ins Geschehen stürzen möchten. Daher ist es bedauernswert, dass GameLoft Barcelona nicht auf dieser soliden Basis aufbaut, und stattdessen die Gameplay-Mechaniken in den Kinderschuhen ruhen lässt. Dem gesamten Potenzial, das hier in mehreren Aspekten, wie dem Gameplay, schlummert, wird kein zweiter Gedanke geschenkt.
Für alle – oder aber auch Niemanden
Die Ausrichtung auf Kinder und Familien, die Videospiele nur selten oder gar nicht anfassen, aber dafür bewährte Fans der Disney-Maschine sind, mit all ihren Filmen und Serien, als Zielgruppe ist bei einem Disney-Crossover des Kart-Genres mehr als nur legitim, da es in den meisten Fällen sowieso ein gelegenheitliches Ereignis sein wird, doch mit der Monetarisierung und den Taktiken dessen steht diese Ausrichtung der Zielgruppe in einem ganz anderen Licht. Die beliebtesten Charaktere aus den verschiedenen Franchises wie Lilo & Stitch, Fluch der Karibik und den zahlreichen Pixar-Franchises hinter diese Monetarisierung zu stecken hinterlässt einen sehr bitteren Nachgeschmack und man fragt sich, ob es der kurzfristige Profit wert gewesen ist, dieses Spiel nicht als Premium-Titel auf den Markt zu bringen.
Disney Speedstorm könnte so viel mehr sein, als es im Endeffekt ist. Es leidet an den typischen Symptomen, die alle solche Live-Service-Spiele aufweisen, wie vor allem an dem Leveling-System, das Auswirkungen auf die gesamte Einzelspieler-Komponente hat. Statt kurierten, qualitativen Inhalten sind es recht belanglose Rennen mit nur zwei Runden, die es unermüdlich auszuschlachten gilt, um hier, ohne zu bezahlen, auf das nächste Level für seinen besten Fahrer zu kommen. Dass das Spiel Potenzial hat, und überraschend frische Dinge mit den ganzen Franchises anstellt, ist ohne Frage, doch der Wert, nach ein paar Malen wiederzukommen, steht definitiv aus, auch trotz saisonalen Inhalten, die sich oftmals hinter einer Geldsumme verstecken. Auch der Fokus auf Einsteiger und eine Spielerbasis, die nur gelegentlich mal in die Rennen schaut, ist nicht verkehrt; die Exekution dessen aber verspielt erneut eine endlose Grube an Potenzial, da hier wirklich die Grundsteine für etwas Inspiriertes gelegt wurden. Am Ende des Tages fragt mich sich schließlich, wen Disney Speedstorm nun erreichen soll, da die gelegentlichen Spieler durch die aggressive Monetarisierung abgeschreckt werden, und Langzeit-Spieler nur schwer nach Stunden über Stunden vom eintönigen Gameplay nicht Trübsal blasen werden.