Leise ertönt ein Männerchor. Donnernd wird er immer lauter, während ein nachdenklich sitzender Kratos in einer Höhle sitzt und die Kameraeinstellung des Menüs ihn frontal in die Aufnahme nimmt. Das Feuer vor ihm knistert und knackt ungeduldig angesichts des bevorstehenden Sturmes. Mit dem Start von God of War Ragnarök nimmt diese Kameraeinstellung die Spieler*innen direkt in die Welt hinein und lässt sie auch bis an das Ende der Reise nicht mehr los. Man bleibt nah an Kratos und wird sogleich auf jene Geschichte aufgegleist, die den ersten Teil aufregend beendete. Wolken türmen sich, Stürme krachen, Blitze frieren ein. Götter konferieren. Götter kämpfen.
Man wünschte sich manchmal man könne gewisse Werke der Kunst und Unterhaltung an gewissen Punkten schlicht einfrieren und das perfekte Kunstwerk in seiner Makellosigkeit erhalten. Die Zeit und die Ereignisse sind erstarrt, wie die Blitze Thors hier, die Geschichte wird nur in den Köpfen und Vorstellungen der Spieler weitererzählt und türmen sich dort zu unglaublich eindrücklichen Spektakeln auf. Dann hätte man mit den ersten zwei Stunden von God of War Ragnarök ein Werk das mit seiner emotionalen Fallhöhe, dramatischer Größe und Epik, sowie spannender Erwartung auf die Auflösung dieser Spannungen zu den Gipfeln des Mediums gehört. Doch dies erlaubt uns das Entwicklerstudio Santa Monica nicht. Die Zeit ist nicht erstarrt, der Blitz verschwindet und hinterlässt nicht mehr als Schall und Rauch in einer kalten, belanglosen Einöde.
Substanz und Oberfläche
Es bietet sich hier an, vielleicht um dieser Review einen analogischen Anstrich zu geben, gleich vorzugehen, wie God of War Ragnarök in seinem Spieldesign vorgeht. Dazu nehme man die GameNotify Review vom ersten Teil aus dem fernen Jahre 2018 und wiederverwende sie schlichterweise, ohne sie weder inhaltlich noch formal zu verändern und nur gewisse Formulierungen zu verschönern und zu polieren. Die Probleme sind die gleichen, die Stärken sind die gleichen, nur der fade Beigeschmack ist neu. Dadurch fällt der Nachfolger in einen ähnlichen, mittelmäßigen Qualitätsgrad fällt wie der erste Teil. Nur die Unterwältigung ist neu.
God of War Ragnarök vermag dabei sehr gut seine Mittelmäßigkeit durch den brachialen Anfang zu kaschieren. Doch bei etwas genauerer Betrachtung bröckeln Ragnarök danach an allerlei Stellen einige wichtige Säulen auseinander. Das Spiel ist sowohl laut als auch ruhig, Kratos sowohl imposant als auch nahbar. Auch der zweite Teil spielt mit dem stetigen aber nun etwas falsch balancierten Pendel zwischen Ruhe und plötzlich einschlagender Action, nur das erneut beide dieser Teile in ihrer Substanz dem Gewicht der Ambitionen nicht standhalten mögen.
Damit diese Ruhe und Nachdenklichkeit der Figuren effektiv wirken können, benötigen sowohl diese als auch die höhere Narrative genügend Substanz und Subtilität. Doch hier agiert Ragnarök teilweise dermaßen oberflächlich und dumpf, dass der Spieler sich fast schon despektiert vorkommt. Weder Emotionen noch Gedanken oder Charakterentwicklungen sind in geringstem Masse subtil oder unterschwellig, sondern werden immer direkt geäußert, fast schon in die imaginäre Kamera blickend, damit dem Spieler möglichst jeder Denkaufwand vorweggenommen wird. So verhält es sich auch mit den Rätseln im Spiel, wo jede noch so simple Lösung sofort ein dialogisches Lob erhält und manchmal sogar die Lösung des Rätsels von den Charakteren ausgesprochen wird, bevor der Spieler überhaupt zum Denken angesetzt hat. Parallel sind die Emotionen und die Zeichnung der Figuren (mit Ausnahme derjenigen von Kratos) nicht annähernd divers oder komplex genug, als dass diese Figuren hier eine interessante Färbung gewinnen. Die Figuren sind alle durch jeweils eine einzige Motivation/Zielsetzung geprägt und besitzen dabei keinerlei Tiefgang. Subtext wie beispielsweise eine symbolische oder metaphorische Verknüpfung zur Geschichte fehlt vollkommen.
Dass Ragnarök narrativ auf voller Ebene versagt, ist leider nicht nur an den Figuren festzumachen, sondern zudem am Erzähltempo der ohnehin mageren Hauptnarrative. Die Geschichte weigert sich vehement jegliche Progression oder Entwicklung zu zeigen und arbeitet erneut, wenn auch etwas weniger offensichtlich als im ersten Teil, nur mit McGuffins, die den Spieler von einem Ort zum nächsten scheuchen sollen. Diese Spaziererei und die verschiedenen Level bestehen zudem nur aus stark eingeschränkten, linearen Leveln ohne jeglicher wahrhafter spielerische Eigentätigkeit. Die selbstinitiierte Interaktion von Seiten des Spielers mit der Spielwelt existiert häufig nur illusorisch, worin hin und wieder Kisten hinter einfachste Rätsel seitlich des Hauptpfades platziert werden, sodass der Spieler wenigstens das Gefühl erhält, er würde mit einem Spiel interagieren. Die wenigen offenen Bereiche, wo der Spiele eine gewisse Entscheidungsgewalt erhält, wirken demgegenüber wie ein befreiender Atemzug, der aber sogleich wieder in einem nächsten angeklebten Tunnel erlischt und viel zu kurz währt.
Wenn die Geschichte von Ragnarök an Geschwindigkeit gewinnt, wenn sich die Spielwelt endlich öffnet, dann tut sie dies in einem sehr eindrücklichen Masse, doch besteht der narrative und spielerische Raum zwischen diesen Höhepunkten leider nur aus irrelevanten Füllmaterial, welches einen Eindruck vermittelt, als ob die Entwickler schlicht nicht wussten, wie sie eine ca. 20 Stunden lange Kampagne füllen sollen. Vielleicht hätte sich hier einige (große) Schnitte in die einzelnen Kapitel der Hauptgeschichte gegenüber der narrativen Spielerfahrung sehr positiv ausgewirkt.
Visionen der Vergangenheit
Spielerisch verhält es sich, wie vorhin bereits erwähnt ähnlich. Ragnarök setzt nahtlos beim Vorgänger an und vermag es dem Spiel nur minime spielerische Veränderungen beizugeben, die den Kampf etwas aufpolieren und aufregender machen, jedoch absolut keinen längeren Eindruck hinterlassen. Allein die Gegnervielfalt hier, die sich geradezu multipliziert hat, ist stark zu loben. Das Gameplay von Ragnarök ist immer noch heftig und befriedigend, die Präsentation eindrücklich und brachial, jedoch wäre auch hier bei beiden Punkten, ein etwas größerer Ausbau oder Veränderung wünschenswert gewesen, um dem Spiel eine eigene Identität zu geben.
Bei der Gegnergestaltung, sowie dem weitergeführten Gameplay werden gewisse Dinge für Ragnarök klar, die den Vorgänger sogar in einem etwas besseren Licht erscheinen lassen, als er für sich selbst stehend damals war. Beim ersten God of War scheint eine gewisse Vision von Produktionsleiter und kreativem Kopf Cory Barlog die treibende Kraft gewesen zu sein, die dem Spiel als Fundament unterlag. Ob diese Vision vollends geglückt ist, ist eine andere Frage jedoch ist dennoch eine starke Kohäsion, also ein gesamthaft stimmiges Endprodukt wahrzunehmen, worin alle Einzelteile möglichst aufeinander abgestimmt sind. Bei Ragnarök jedoch ist dies fast vollkommen verschwunden: Die Geschichte hängt eher die meiste Zeit der Spieldauer erstarrt in der Luft, die alten Charaktere sind nicht wirklich interessant weiterentwickelt worden, die neuen sind enorm seicht geschrieben, beide sind nur schwach ineinander thematisch verwoben. Das Gameplay bewegt sich in einem ähnlichen Rahmen wie der Vorgänger, sowohl die Welt als auch deren Bewohner sind noch immer nicht narrativ verankert, sondern erscheinen je nach Gebrauch zur passenden Zeit am passenden Ort. Es ist tatsächlich teilweise möglich sich eine narrative Erklärung für die Verortung der Gegner aus verschiedensten Lore-Texten zusammenzuklauben, doch eine wirkliche Glaubhaftigkeit gelingt nicht.
Ludonarrative Dissonanz ist ein Kriterium, welches an Spielen nur schwierig zu kritisieren ist, da jedes Spiel dieses Problem zu einem gewissen Masse besitzt. Jedoch ist sie manchmal so inhärent und deutlich problematisch, dass sie schlicht erwähnt werden muss.
Spiel und Anspruch
God of War Ragnarök ist genau wie sein Vorgänger: Ein Videospiel, welches sich selbst bewusst ist, immer wieder die vierte Wand durchbricht und sich keinerlei Mühe gibt (oder daran kläglich scheitert) jegliche Form von Glaubwürdigkeit oder Illusion einer geschlossenen Welt zu erzeugen. Neu in diesem Teil ist nun, dass auch der Subtext beinahe vollkommen verschwunden und ersetzt von einem Humor, der manchmal sehr gut und manchmal gar nicht gelingt, und stark klischierten Nebengeschichten, die jedoch für die Wirkung der Haupthandlung keinerlei Fördernisse bringen. Man hat hier definitiv ein spaßiges Spiel vor sich, welches ein gewisses großes Maß an Unterhaltung mit hohen Produktionswerten kombiniert, doch ob dies wirklich der einzige Anspruch des modernen Spielers sein sollte, bei all den Möglichkeiten und der Spieldiversität, die heutzutage existieren, ist klar zu verneinen.
Und dann plötzlich…
Plötzlich treten zwei Gestalten auf die Einöde. Eine schwingt ihre anmutig verzierte, blutgetränkte Axt durch die Luft. Die andere hält seinen göttlichen Hammer empor. Es erscheinen neue Blitze am Himmel, riesige Gestalten brechen aus dem Boden. Tränen kullern. Die Einöde scheint vergessen.
Es ist trotz all dieser Kritik doch schwierig God of War Ragnarök als ein mittelmäßiges Spiel zu bezeichnen. Denn wenn das Ende der Geschichte tatsächlich eintritt, alle losen und seichten narrativen Stränge zusammenfinden und sich zu einem festen Knoten verknüpfen, wenn die emotionale Fallhöhe plötzlich existiert und die Tränen kullern, dann übertrifft God of War Ragnarök sogar die Höhen seines Beginns.
Dieses Spiel ist die ultimative Absolution einer Figur, die nur Schmerz, Trauer und vor allem Hass in sich trug. Das Ende der Geschichte von Sohn und vor allem Vater, dem verhassten Gott des Krieges, ist so eindrücklich, brachial und groß, dass jegliche vorherige Banalität, sei das in Form von höchsten Schlauchleveln oder einfältigen Nebenfiguren vergessen wird. Nach diesem Ende ist die Welt nicht mehr wie vorher, der Spieler ebenfalls nicht und so auch das Spielgefühl nicht. Tatsächlich scheint das Ende der Geschichte erst wirklich God of War Ragnarök zu dem Spiel zu machen, was es von Anfang an sein wollte. Die Welt steht offen, die Nebengeschichten haben eine andere, intensivere Wirkung, die Erkundung und der Kampf gegen die großartigen Gegner macht trifft stärker. An diesem Punkt ist man wieder froh, man hat das Spiel nicht zu Beginn einfrieren können und hat die Reise doch bis zu dieser Stelle mitgemacht. Das Einzige, was von vorher verbleibt, ist der Wunsch das Spiel wäre schneller zu diesem Punkt gekommen.