Das Setting des feudalen Japan ist genauso wie das Land selbst ein Kuriosum. Es ist sehr anders in seinen Motiven und Konzepten, es wird in andere Richtungen gedacht und auf andere Dinge mehr oder weniger Wert gelegt als hier im Westen. Und dennoch lassen sich Ähnlichkeiten erkennen: Japan drängt sich immer mehr auf, wandert mit seiner Popkultur und seiner Geschichte in unsere Köpfe und damit auch in unseren Interessensbereich. Plötzlich bemerkt man, dass es gar nicht so anders ist, da es die westliche Kreativität bereits seit Jahren und vor allem gegenwärtig sehr stark beeinflusst.
Es ist genauso ein Kuriosum, wie unverbraucht das Setting des feudalen Japan im Spielemarkt ist, trotz der immer lauter werdenden Rufe danach. Nun erhört das Studio Sucker Punch Productions den Willen der Spieler und liefert mit Ghost of Tsushima ein Open-World Abenteuer, dass völlig auf der Geschichte des fernasiatischen Landes aufbaut und damit auch das allerletzte Sony Exclusive dieser Konsolengeneration. Vermag Ghost of Tsushima diese Bürde zu tragen?
Samurai, Ritter des Reiches in Ehre und Treue
Es wird schnell klar, dass sich Ghost of Tsushima sehr stark an Konventionen seines Genres orientiert, sowie in seiner Geschichte als auch in seinem generellen Spieldesign. Vielleicht ist es auch passend, dass genau eines der letzten Open-World Spiele und gleichzeitig Sonys letzter Exklusivtitel dieser Generation nochmal alle Designphilosophien in sich vereint, die sich über die letzten Jahre in diesem Genre ausgebreitet haben.
Ironisch ist es auch, dass Ghost of Tsushima ebenfalls seine Geschichte um das Rache-Motiv herumbaut, genau wie es einen Monat zuvor The Last of Us Part II auch getan hat. Nur funktioniert Ghost of Tsushima in seinem Umgang mit diesem Motiv völlig konträr zum diesem. Während Naughty Dogs Titel eine völlige Graufärbung der Welt aufzuzeichnen versucht, mit moralisch schwierigen Erzählpassagen, die viel Metaverständnis des Spielers erfordern, alles verpackt in ein intensives, weil lineares Spielerlebnis, geht Sucker Punch Productions in die entgegengesetzte Richtung. Ein böser, monströs gezeichneter Antagonist ohne viel Sympathie, eine lockere, meditative Spielwelt und, passend dem Samurai-Konzept, sehr viel Pathos.
Stolz, Ehre und Treue bilden die Hauptpfeiler der Geschichte von Ghost of Tsushima. Es geht darum Japan als Samurai Jin Sakai vor dem Einfall der Mongolen zu retten und dabei auch seine Ehre als Samurai zu präservieren. Es gilt anderen Samurai zu helfen und diese damit zu rekrutieren und dabei Japans Elite zusammenzuschliessen im Kampf gegen den gemeinsamen Feind.
Dabei ist Ghost of Tsushima aber so investiert in diese Grundsäulen des Samurai-Daseins, dass alle Geschichten, sowohl Haupt- als auch Nebenstories, ineinander verschwimmen und anfangen sich ähnlich anzufühlen. Die fehlende Diversität in seinen Motiven und die vollkommene und leider auch etwas unreflektierte Hingebung zu «Stolz, Ehre und Treue» sorgen dafür, dass nur wenige Geschichten hier wirklich länger im Gedächtnis verweilen.
Ghost of Tsushima ist spirituell, besonnen, aber auch mächtig und groß. Gleichzeitig ist es aber auch hauchdünn und sehr seicht. Das Spiel zielt auf simple und leichtverdauliche Epik, mit wiedergekäuten Geschichten, die alle auf ähnliche Ergebnisse hinauslaufen. Vielleicht war dies auch das Ziel, da das Spiel sich genau solche alten und klassischen Samuraigeschichten zum Vorbild nimmt, wie zum Beispiel die legendären Filme des Akira Kurosawa, aber dennoch wäre eine etwas eigene Note nicht schlecht gewesen. So schmeckt das alles hier doch ein wenig fade, vor allem je mehr Spielzeit vergeht.
Bushido: Weg des Kriegers (die Karte abzuarbeiten)
Ghost of Tsushima wandelt auch in seinem Spieldesign auf ähnlichen Pfaden wie in seiner Geschichte. Alles hier scheint sowohl in seinem Weltdesign als auch in seinem Gameplay altbekannt, wenn auch solide und befriedigend. Die Karte ist groß und mit Collectibles vollgestopft, ohne aber überladen zu sein, die Welt ist aber visuell so designt, dass auch ohne Karte das Interesse des Spielers immer wieder so stimuliert wird, sodass es ihn ständig an einen neuen interessanten Ort hinleitet. Die Collectibles sind dabei befriedigend und teilweise sogar mit wunderschönen Momenten gespickt. Ideen, wie zum Beispiel das eine Art Collectible typische japanische Quellenbäder sind, wo man dann als Samurai die Möglichkeit nutzt, um über sich und die Welt zu reflektieren, sind großartig. Andere, wie zum Beispiel die Schreine, die einfache Punkte in der Welt sind, die man mit einem Knopfdruck einsammelt, sind wenigstens in ihrer Entdeckung interessant gestaltet, indem zum Beispiel ein Fuchs oder ein Vogel den Spieler erst an diese Orte hinführt.
Generell fühlt sich die Erkundung der Welt trotz sehr simpler Karten-Abarbeitung sehr gut an, da das Spiel beinahe komplett auf ein HUD und andere künstliche Elemente verzichtet und den Spieler damit nur selten aus dem Spielgeschehen herausreisst. Den Wind, der sogar symbolisch den Vater von Jin repräsentiert, als Mittel zu nutzen, dass den Spieler durch die Welt führt ist fantastisch.
Die Spielwelt selbst fällt dabei wunderschön, aber auch etwas leer aus. Tsushima ist genauso wie das Spiel generell teils atemberaubend teils auch besonnen still, aber immer nur sehr spärlich bestückt von Leben. Die Insel hier fühlt sich nicht wirklich an wie ein Ort, in dem Leute leben, arbeiten und aufwachsen, sondern eher wie eine Spielwelt, die es als Spieler zu erkunden gilt. Etwas mehr Detailreichtum, was das alltägliche Leben der Menschen hier angeht, hätte der Immersion wirklich geholfen. So wirkt die Welt schlicht, wie ein Spielplatz, der zugegeben grandios aussieht, aber nicht wirklich viel Immersion zulässt.
Was diese Immersion dann auch noch zusätzlich stark bricht ist die sehr voraussehbare und schlicht qualitativ unterdurchschnittliche KI der Gegner. Diese wirken sehr oft steif und unintelligent: meist reicht ein simpler Bogen um die nächste Ecke damit sie den Spieler aus den Augen und aus dem Sinn verlieren. Auch scheinen sie eine große Vorliebe zu haben minutenlang gegen Häuserwände und Kisten zu laufen.
Das Gameplay auf der anderen Seite punktet mit seiner Bescheidenheit. Keine unnötige Überladung mit RPG-Elementen, keine Schadenszahlen die aufpoppen, keine Level. Ghost of Tsushimas Kampfsystem fühlt sich sehr geschmeidig und befriedigend an, vor allem nach der enormen Flut von diesen Elementen in den letzten Jahren. Es fühlt sich befriedigend an zu kämpfen, das Schwert wirkt immer bedrohlich und der Spieler fühlt sich wie ein wahrer Samurai. Dazu trägt die scharfe Steuerung und präzise Bewegung von Samurai Jin Sakai nur bei.
Dafür aber ist das Stealth-Gameplay etwas am Strassenrand liegen geblieben. Das liegt einerseits auch an der sehr schwachen KI andererseits aber auch daran, dass die Karte und Gegner schlicht nicht für Stealth designt worden scheinen. Schleichen hier wirkt eher wie Laufen von einem NPC zum nächsten, die immer zu praktisch positioniert zu sein scheinen, und diese mit einem simplen Tastendruck zu eliminieren. Viel Raum für Strategie und Taktik, sowie die variable Nutzung von gewissen Instrumenten wird hier nicht gelassen.
Generell muss man auch sein, dass sich das Spiel etwas aufgebläht anfühlt. Jede Hauptquest führt in mehrere Nebengeschichten ohne wirklich großen narrativen oder spielerischen Mehrwert zu bieten, die Collectibles beginnen auch sich repetitiv anzufühlen. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Das Land der aufgehenden Sonne
Ghost of Tsushima ist wunderschön, doch es ist vor allem erstaunlich, wie es diese Schönheit erreicht. Denn bei genauerer Betrachtung mag einem doch auffallen, dass die Texturen doch etwas verwaschen aussehen können oder die Animationen etwas steif. Das Spiel erzeugt diese Wirkung von Schönheit vor allem in seiner Dynamik und in seinem Lichtspiel. Die Lichteffekte sind brachial vor allem in ihrem Zusammenspiel mit der Umgebung und die teils atemberaubenden Windeffekte lassen jegliche unpräzise Textur in einer Illusion der Schönheit verschwinden. Auch eine große Rolle spielt das Design der Welt, die Positionierung von Türmen, Klippen und Küsten und die Partikeleffekte, die eine sehr malerische und fast schon fantastische Wirkung kreieren. Der eingebaute geniale Foto-Modus ist ebenfalls eine einzige Zelebrierung von einerseits dem großen Vorbild Akira Kurosawa und Film generell, aber auch von der Schönheit von Japan.
In der Präsentation weist Ghost of Tsushima aber dennoch einige Makel auf, die dem Spielerlebnis etwas schaden. Vor allem der ständige Bruch zwischen Spielsequenz und Dialogsequenz durch einen Schwarzbildschirm und eine veränderte Kameraeinstellung ist ein Problem, das eigentlich im Genre schon lange gelöst wurde. Es reisst dem Spieler ständig die Kontrolle aus den Händen, während das Grundkonzept des Spieles eher das Gegenteilige will und fühlt sich deshalb frustrierend an.
Aber dennoch: Ghost of Tsushima präsentiert sich meistens absolut atemberaubend. Die Immersion geht leider durch die etwas leblose und detaillose Welt etwas verloren, da kann auch die grandiose Musik nicht immer retten. Rein visuell ist das Spiel aber dennoch sehr beeindruckend.