Rollenspiele sind ein schwieriges Genre. Mehr als jede andere Art Spiel benötigen Rollenspiele ein tiefgreifendes Verständnis seiner Selbst. Sie sind die einzigen Spiele, die innerlich hochkomplex verknüpft und konstruiert sein müssen, aber ohne dabei dem Spieler aufzufallen. Der Spieler muss Entscheidungskraft spüren, Konsequenz, Macht und Freiheit, gleichzeitig auch eingeschüchtert sein und zurechtgewiesen werden, aber möglichst ohne dass das Eine das Andere ausschliesst. Das Spiel muss sofort das Interesse des Spielers greifen und festhalten, denn Immersion und Involvierung gehören zu den Kernelementen eines Rollenspiels.
Obsidian Entertainment ist in Entwickler, der schon viele Male bewiesen hat, dass er ganz genau versteht was ein Rollenspiel sein muss. Mit Fallout New Vegas und Star Wars Knights of the Old Republic 2 haben sie zwei der besten Rollenspiele aller Zeiten veröffentlicht, mit Pillars of Eternity und Tyranny haben Sie bewiesen, dass sie den modernen Spielermarkt auch mit ganz altmodischen RPGs noch in ihren Bann ziehen können. Mit The Outer Worlds erscheint nun seit Fallout New Vegas im Jahre 2010 seit langem das erste 3D Open World Rollenspiel des Studios. Kann der alte Meister des Genres wieder ein ähnliches Meisterwerk wie New Vegas erschaffen?
Odyssee im Weltraum
The Outer Worlds beginnt sofort mit einer Prämisse, die den Spieler so greift und mit sich zieht, wie es ein Rollenspiel schlicht schaffen muss. Der Spieler selbst und seine Figur parallel dazu werden in eine für sie unbekannte, fremde Welt geworfen. Die Figur wacht aus einem langen Eisschlaf auf und kennt die Welt genauso wenig wie der Spieler selbst. Ein cleverer Kniff von den Schreibern um den Spieler nur so mit Exposition zuzudröhnen, ohne dass es diesem billig oder künstlich vorkommt. Doch Obsidian hält sich hierbei sehr gut zurück und lässt den Spieler selber eintauchen und erkunden, sich die Informationen selbst erarbeiten. The Outer Worlds gibt nicht von Anfang an seine gesamte Lore preis, hält keinen Vortrag über Struktur und Aufbau der Fraktionen und der Hintergrundgeschichte, obwohl es dies einfacherweise machen könnte. Das Spiel lässt den Spieler dies selber erkunden und erzählt anhand geschickt platzierter Notizen und Logs in der Welt und der nahtlosen Verwebung dieser in etliche Nebenquests und Sidestorys. Das Worldbuilding hier ist schlichtweg klasse geschrieben und präsentiert. Etliche Geheimnisse und Twists gibt es zu erkunden, die Obsidian so beiläufig und unspektakulär erzählt und so gut versteckt, dass es sehr befriedigend und spannend wird, diese Welt immer mehr für sich zu ergründen.
Genauso geht Obsidian auch bei der Geschichte vor. Was mit einem lustigen und faszinierendem Aufknüpfer beginnt, wächst mit jeder einzelnen Stunde mehr und mehr in eine grosse Geschichte von Konzernkriegen, Gesellschaftsunterdrückung und Revolution und massiver Kapitalismuskritik. Der humanitäre Trieb unterliegt hier jeder noch so kleinsten Geschichte, ist aber dabei so satirisch und witzig, dass sich die tieferen Aussagen, die das Spiel zu machen versucht, niemals aufdringlich oder überdramatisch anfühlen. Alles hier ist zu einem gewissen Grad überzeichnet aber dabei stets so stilsicher, dass sich die Bedeutungen nur stärker ins Gehirn des Spielers brennen.
Inmitten all dessen steckt der Spieler und treibt die Story in die Richtung, die er möchte. Man will einen rechtschaffenen Space-Sheriff spielen, der die armen, ausgebeuteten Menschen retten will? Oder doch lieber einen kalten Gesetzlosen, der nur dem folgt, der ihm am meisten Geld verspricht? Oder einen Kriminellen, der im Laufe der Geschichte das Gute in der Welt sieht und es auf seine kalte Weise unterstützen möchte? The Outer Worlds erlaubt dem Spieler sich so auszuleben wie er möchte. Die Freiheit, die Konsequenz der Entscheidungen, die man trifft, die Macht, die man als Spieler in der Hand hält, fühlt sich in The Outer Worlds so genial greifbar und realistisch an, ohne jemals wirklich ins Absurde und damit ins Lächerliche abzudriften. Jegliche Spielart, die sich der Spieler ausdenkt und –lebt fügt sich so perfekt in die geschriebenen Dialoge und den Verlauf der Welt ein, dass man permanent die Lust verspürt, gleich einen neuen Durchlauf zu starten nur um zu sehen, wie die Geschichten hätten anders verlaufen können. Obsidian schafft es, dem Spieler die ultimative Freiheit zu geben, sich so auszuleben wie er möchte, aber ohne dass dies auch nur einen Moment mit den Regeln der Welt bricht. Das Spiel hat Respekt gegenüber dem Spieler, aber auch Respekt gegenüber sich selber und hält an der Kohäsion seiner Welt mit eiserner Faust fest, was das Spielerlebnis nur noch besser macht.
Dabei hält The Outer Worlds in seinen Dialogen und Geschichten aber trotzdem konstant ein hohes Level an Humor, Spannung und Kreativität. All diese Dinge so zu balancieren ist ein wahres Kunststück und so elegant und souverän in diesem Spiel verarbeitet, wie nur selten im Genre.
Setting: ferne Zukunft, Gameplay und Technik: Historisch
Dafür macht The Outer Worlds leider einige Abstriche im Gameplay und in der Technik. Genauso wie die Präsentation, fühlt sich das Kerngameplay hier sehr altbacken und nicht mehr zeitgemäss an. Das Schussgefühl hält gerade noch ein passables Level, jedoch ist allein das Gefühl des Herumlaufens und des Erkundens, sowie die Interaktion mit der Welt und den NPCs so steif und hakelig, dass es das Spielgefühl doch stört.
Genauso ist die Technik verstaubt. Die Performance bricht öfter ein, die Animationen der Welt und Personen wirken steif und ungelenk. Die Texturen sind ebenso oft verwaschen und reissen leider mehr aus der Immersion als sie dürfen. Es gibt ein paar spannende visuelle Ideen, die aber den Gesamteindruck der Präsentation nur wenig retten.
Dennoch, ein Lob muss man hier doch an The Outer Worlds machen: Trotz der komplexen inneren Verwebung, die ein Rollenspiel numal nach sich zieht, gibt es in dem Spiel beinahe keine Bugs. Dies ist doch ein ungewöhnliches Merkmal für das Genre.
Nach diesem doch relativ schwachem Teil vom Spiel stellt sich nun die Frage der Gewichtung. Merkt man das schwache Gameplay und die steife Präsentation The Outer Worlds wirklich an? Man sollte bedenken, dass man hier ein enorm komplexes Rollenspiel spielt, das seinen Fokus auf die Geschichten, die Freiheit und die Konsequenzen, kurzum die Dynamik der Welt legt. Um dies zu diesem Masse zu gewährleisten, schraubt Obsidian das Gameplay und die Technik zurück, was eine völlig akzeptable Massnahme ist. Die Dynamik der Welt, die Freiheit der Rolle, die man verkörpert, fühlen sich schlicht so gut an, dass die anderen Schwächen des Spiels verblassen.